Achtsamkeit im (Arbeits-)Alltag: Wie wir bewusst glücklich leben.

09.12.2020 | Gina Schöler

Achtsamkeit im Arbeitsleben
Quelle: Foto von Melinda Nagy auf Adobe Stock

Es ist meine erste Begegnung mit dem Buddhismus und es wartet ein langes Wochenende im Wald auf mich. Von niemand Geringerem als von Mitgliedern des Gross National Happiness Centres aus Bhutan bin ich zu einem Retreat in Deutschland eingeladen worden, um Erfahrungen zu sammeln und sich auszutauschen. Vollgepackt mit Material komme ich gehetzt an. Und lerne sogleich meine erste Lektion. Überladen und mit der Zeit im Nacken stoße ich mitten in eine Meditation und bin wohl in diesem Moment das perfekte Sinnbild des gestressten Westeuropäers. Ein bisschen muss ich schmunzeln und versuche so leise wie möglich meine Sachen abzulegen, um niemanden zu stören. Ich setze mich mit auf die Wiese und atme erst einmal durch. Atmen scheint wichtig zu sein. Auf der Tagesordnung stehen Dinge wie „Just being“, „Deep breathing“ und „Pure relaxation“. Mit einer skeptisch hochgezogenen Augenbraue lese ich mir das durch und frage mich, wie das funktionieren und vor allem was es bringen soll. Im Laufe des Tages führe ich tolle Gespräche, bekomme viele Fragen gestellt, stelle meinerseits mindestens ebenso viele, verbringe Zeit in der Stille und im Austausch. Immer in Berührung mit dem Boden, meine nackten Füße streifen durch das grüne Gras. Besonders faszinierend und zugegebenermaßen anfangs leicht irritierend finde ich die Mahlzeiten. Ganz langsam bedienen sich alle am Buffet. Im Schneckentempo ziehen sie hinaus auf die Wiese, es entsteht ein großer Kreis von Menschen, die auf dem Boden sitzen und schweigend das Essen zu sich nehmen. Manche lächeln, manche schließen die Augen. Ich schaue mich um und weiß nicht so ganz, wohin mit mir. Dann lasse ich mich darauf ein und esse langsam kauend und schweigend mein Essen. Ich habe ganz neue Geschmackserlebnisse und nehme die Mahlzeiten anders wahr als sonst. Die Mischung macht’s und ich nehme mir vor, einige der gelernten Lektionen mit nach Hause zu nehmen – im stressigen Alltag können wir davon wahrlich oft genug etwas gebrauchen.

Am stärksten bleibt mir die Langsamkeit dieses Wochenendes im Gedächtnis: Wie gut es einem geht, wenn man alles etwas bedachter angeht. Im Alltag hetzen wir oft von A nach B; wir denken morgens schon dran, was alles ansteht und planen den kompletten Tag, die ganze Woche oder noch weiter im voraus. Allzu selten sind wir wirklich im Hier und Jetzt - dabei ist das die einzig wahre Zeit. Denn alles was in der Vergangenheit liegt ist bereits passé und Zukünftiges ist noch nicht passiert. Mit unseren Gedanken sind wir oft woanders und nicht im gegenwärtigen Moment – und genau das versetzt uns in Stress, welcher sich wiederum negativ auf unsere psychische und physische Gesundheit auswirkt. Dahingegen hat achtsames „im Moment sein“ eine ganze Menge positive Nebenwirkungen. 

Achtsamkeit ist mehr als nur ein Modewort. Und man muss auch nicht unbedingt meditieren, um achtsam im Alltag zu sein – wobei Meditation durchaus dabei hilft (und so herrlich sämtliche Formen annehmen kann). Es geht vielmehr einfach darum, sich ganz auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, zu beobachten, alle Sinne einzusetzen und Situationen wertfrei anzunehmen. Dadurch senken wir unser Stresslevel und steigern auf der anderen Seite unser Wohlbefinden. Gerade auch in der Arbeitswelt, die oft geprägt ist durch Druck und Leistung, können wir achtsames Handeln gut gebrauchen. Da ist es kein Wunder, dass von vielen Unternehmen weltweit, darunter wie SAP, Google, Deutsche Bank, PUMA, Bosch, Achtsamkeit zum festen Bestandteil des Arbeitsalltages gehört. 

Ministerialer Tipp: 
„Die stille Revolution“ und „From Business to Being“ sind wunderbare Filme, die zeigen, wie sinnvoll und wichtig es ist, gerade auch in der Wirtschaft sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen.

Heute möchte ich euch mehr darüber berichten, was es mit Achtsamkeit auf sich hat und wie wir achtsamer – und dadurch glücklicher – durch den (Arbeits)Alltag gehen können. 

Was ist Achtsamkeit?
Die Wurzeln von Achtsamkeit liegen in der buddhistischen Philosophie und das Konzept hat über die Jahrtausende auch Einzug in unsere westliche Welt erhalten. Der Begriff der Achtsamkeit stammt von “sati”, einem Wort der mittelindischen Sprache Pali ab, was mit Wachheit übersetzt werden kann. Wenn wir achtsam sind, sind wir also in einem wachen Zustand und nehmen alles um uns herum bewusst wahr. Im Englischen wird das Wort “mindfulness” verwendet – was nicht bedeutet, dass das der Geist oder unser Kopf voll (mind full) ist, sondern eher, dass wir mit unserem Geist ganz aufmerksam sind. Eine der bekanntesten Definitionen stammt von Jon Kabat-Zinn, dem Pionier der Achtsamkeitspraxis, ab: "Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen”. Es geht also um ein klares, nicht-wertendes Gewahrsein des Hier und Jetzt. Klingt noch etwas kompliziert? Manchmal helfen Gegenteile dabei, ein Begriff besser zu verstehen: Das Gegenteil von achtsam ist achtlos. Wir sind achtlos, wenn wir uns nicht auf die Gegenwart konzentrieren und stattdessen versuchen, vieles auf einmal zu erledigen. Wir alle kennen doch irgendwie das Gefühl auf “Autopilot” zu sein und nur zu funktionieren: Wir essen etwas, ohne wirklich darauf zu achten, was wir gerade essen. Wir fahren gedankenverloren im Auto und nehmen die falsche Abfahrt. Oder wir gehen in den Keller und fragen uns dort, was genau wir noch einmal holen wollten. Achtsam hingegen sind wir zum Beispiel, wenn wir bewusst unser Essen zu uns nehmen und alle einzelnen Geschmackskomponenten wahrnehmen oder wenn wir mit klarem Kopf zu einem bestimmten Ziel fahren und uns bewusst werden, was uns erwartet oder worauf wir uns freuen.
Als eine besondere Form der Aufmerksamkeit hilft uns Achtsamkeit dabei, nun ja – aufmerksam im Augenblick zu sein. In diesem bewussten Zustand der Wahrnehmung schenken wir dem gegenwärtigen Moment unsere volle Aufmerksamkeit, ohne dabei an Vergangenes oder Zukünftiges zu denken. Das ist manchmal gar nicht so einfach, sind wir doch immer und überall von unseren Gedanken und Gefühlen umgeben, die versuchen, uns von der Gegenwart wegzuziehen: Wir sind wütend über Fehler aus der Vergangenheit oder planen künftige Ereignisse. In diesem Strom aus Gedanken und Gefühlen verheddern wir uns oft im Alltag. Indem wir uns wieder bewusst auf die Gegenwart und demnach auf uns selbst oder eine bestimmte Sache konzentrieren, bringen wir Ruhe und Gelassenheit in unseren (Berufs)Alltag. Achtsamkeit hat eine lange Liste an positiven Nebenwirkungen: So zeigten frühe Studien insbesondere die Linderung von körperlichen Erkrankungen (z.B. Brown, Ryan & Creswell, 2007). Daneben haben sich viele Arbeiten mit dem Anstieg des physischen und psychischen Wohlbefinden befasst. Aktuelle Studien zeigen beispielsweise, dass sich Achtsamkeit positiv auf Lebenszufriedenheit, Optimismus, zwischenmenschliche Beziehungen und negative auf Angst, Depression und Stress auswirkt (für einen Überblick siehe Glomb und Kollegen, 2011). 

Achtsame Anwendungen für den Alltag.
Wie können wir nun achtsamer durch unseren (Berufs)Alltag gehen? Brauchen wir dafür eine spezielle Ausbildung? Nein, keine Angst! Wenn man möchte, kann man natürlich auch Kurse zum Thema Achtsamkeit besuchen. Oft werden diese mit der Methode MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction) angeboten, die von Jon Kabat-Zinn entwickelt wurde. Die Methode umfasst Yoga, Meditation und Körperscanning. Abgesehen von solchen Kursen können kleine achtsame Übungen ganz einfach und bequem von Zuhause oder dem Büro aus umgesetzt werden. Ohne großen Aufwand kann man also lernen, Gegenwärtiges bewusster wahrzunehmen und im allgemeinen bewusster zu leben. 

So einfach und doch so wirksam: Atmen. 
Der schnellste Weg, uns ins den gegenwärtigen Moment zu katapultieren, liegt in unserer eigenen Atmung. Indem wir ganz bewusst ein- und wieder ausatmen sind wir ganz bei uns. Schon wenn wir uns nur wenige Minuten auf unsere Atmung konzentrieren werden wir entspannter und gelassener. Probiert es gerne einmal aus: Folgt dem Weg eures Atems durch den Körper. Spürt, wie Luft durch eure Nase einströmt, durch die Lunge fließt, sich dann bis an eure Zehenspitzen ausbreitet und schließlich wieder durch die Nase ausströmt. Ist euch schon einmal aufgefallen, dass wenn ihr Luft einatmet, diese leicht kalt ist, und sobald ihr sie ausatmet, warm? Nehmt jeden Atemzug ganz bewusst wahr und konzentriert euch darauf. Solltet ihr mit euren Gedanken abschweifen – was mit Sicherheit passiert – ist das überhaupt nicht schlimm. Bewertet auch das nicht, sondern kehrt liebevoll aber bestimmt in den gegenwärtigen Moment zurück. Beginnt so mal euren Tag oder vielleicht auch das nächste Meeting? Mit einer Runde Stille und Atmen zum Ankommen, startet man gleich ganz anders.

Erst einmal ankommen. 
Wenn wir im Büro ankommen oder unseren Laptop im Home Office starten, geht es meistens direkt los: Mails checken, Kalendereinträge für den Tag kontrollieren und auf in das erste Meeting vorbereiten, am besten alles parallel und auf ein einmal. Dann steht schon die erste große Aufagbe an und ehe wir uns versehen, ist Zeit für die Mittagspause (wenn diese überhaupt stattfindet…). Soll heißen: Wir sind oft sofort im Macher-Modus und nehmen uns viel zu selten Zeit, um erst einmal anzukommen. Dabei kann das wahre Wunder bewirken! Indem wir uns eben nicht gleich ins Getümmel stürzen, sondern achtsam starten, legen wir den Grundstein für eine Gelassenheit, die uns durch den (Arbeits)Tag führt. Richtet euch also erst einmal ganz bequem ein. Setzt euch an euren Arbeitsplatz und spürt in euch hinein: Wie fühlt ihr euch heute? Mit welchem Gefühl seid ihr am Morgen aufgewacht? Seid ihr noch etwas müde? Oder sprüht ihr voll Tatendrang? Alles darf sein – versucht weder eure Gefühle, eure Gemütslage noch eure Gedanken zu ändern. Und dann legt euch vielleicht eine Intention für den Tag. Was sind eure Ziele für heute? Möchtet ihr etwas bestimmtes erreichen, eine spezielle Aufgabe erledigen, eurer Arbeitskollegin etwas unter die Arme greifen? Eine bestimmte Verhaltensweise an den Tag legen oder einem eurer Werte besonders nachkommen? Trinkt gerne noch genüsslich ein paar Schlücke von eurem Kaffee oder Tee und fangt dann langsam an, euch eurem Laptop, den Aufgaben und Terminen zu widmen. Nur ein paar Minuten des Ankommens helfen uns dabei, bewusster, achtsamer und stressfreier die Arbeit zu beginnen, eine echte Wohltat mit großer Wirkung! Dasselbe gilt eigentlich für alle Situationen im Alltag. Bewusst von einem Szenario ins nächste wechseln, kann dabei helfen, wirklich ganz bei der Sache zu sein. Die Tür hinter sich schließen, bevor man zum Einkaufen geht, tief durchatmen, bevor man in das Auto steigt, um nach Hause zu fahren. Das hilft dabei, sich in bestimmte Situationen hineinzubegeben, sie aber auch klar wieder abzuschließen, zum Beispiel, wenn Feierabend angesagt ist.

Bewusst fortbewegen.
Im Alltag gehen wir oft die gleichen Wege: Morgens laufen wir zur Straßenbahnhaltestelle, zum Parkplatz oder zum Fahrradschuppen und fahren dann mit Bahn, Auto oder Rad zur Arbeit – und abends den gleichen Weg zurück. Wenn wir einkaufen gehen oder die Kinder zur Schule bringen, machen wir wir auch keine großen Umwege, sondern fahren direkt den Weg, den wir kennen. Auch unsere Joggingrunde verläuft einmal die Woche durch denselben Abschnitt im Park. Solche Abläufe sind schon so zu unserer Gewohnheit geworden, dass wir nicht groß darüber nachdenken müssen. Und das ist auch in Ordnung – auf Autopilot geschaltet zu sein bedeutet nämlich auch, dass wir unsere Gehirnaktivität etwas herunterfahren und keinen großen Aufwand betreiben müssen, indem wir beispielsweise jedes Mal eine andere Entscheidung treffen (“Nehme ich heute den Weg über die Brücke oder doch lieber durch den Tunnel? Soll ich überhaupt mit dem Auto fahren oder doch lieber die Straßenbahn oder gar das Fahrrad nehmen und dafür mal den neuen Radweg ausprobieren?”).  
Solche Gewohnheiten eignen sich aber auch wunderbar, um Achtsamkeit zu praktizieren. Nehmt beim nächsten Mal, wenn ihr auf der Weg zur Arbeit seid – ganz gleich ob zu Fuß, per Rad, Auto oder Bahn, ganz bewusst eure Umgebung wahr: Was entdeckt ihr? Wie sehen die Straßen und Häuser aus? Welchen Personen begegnet ihr? Dieses bewusste Fortbewegen schärft eure Sinne und macht euch somit achtsamer. Probiert es aus und staunt, was ihr auf eurer Erkundungstour alles entdecken könnt. Besonders beim Laufen können wir Achtsamkeit trainieren, denn unsere eigenen Füße sind unser langsamstes Fortbewegungsmittel. Konzentriert euch beim nächsten Mal, wenn ihr irgendwo hin lauft, ganz bewusst auf das Gehen und nehmt wahr, wann der linke und dann auch der rechte Fuß jeweils den Boden berühren. Und dann beobachtet einmal, wie schnell oder langsam ihr in dem Moment unterwegs seid. Bummelt ihr eher und lauft ganz gemütlich durch die Straße? Oder habt ihr es etwas eilig und zieht das Tempo an? Ändert nichts daran, sondern nehmt es einfach nur wahr. Nicht umsonst, sind solche Aktivitäten wie „Curious Walks“ oder auch „Waldbaden“ zum Trend geworden, das macht Sinn und Spaß und ist gut für die Seele!

Achtsam essen.
Zwischen dem letzten und dem nächsten Termin bleiben euch nur noch wenige Minuten. Der Magen knurrt, also schiebt ihr euch schnell das mitgebrachte Mittagessen in den Mund – um es warm zu machen oder ordentlich zu kauen, dafür fehlt die Zeit. Und zur Gemeinschaftsküche laufen reicht auch nicht, weswegen am Schreibtisch gegessen wird. Wir alle kennen solche Situationen, in denen wir zwischen Tür und Angel etwas essen, damit das Hungergefühl zumindest für den Moment befriedigt ist und der Bauch im Meeting nicht peinlich knurrt. Dabei ist es unglaublich wichtig, dass wir uns für unsere MahlZEITEN auch genügend Zeit einräumen und sich nicht hastig und nebenbei herunterschlingen. Klar muss es auch mal schnell gehen und es kann ab und an auch mal das Brötchen auf die Hand sein, aber wir sollten darauf achten, so oft wie möglich in Ruhe zu essen. Dabei kann schon einmal helfen, dass wir unsere elektronischen Geräte für die Zeit des Essen ausschalten oder zumindest auf die Seite legen. Schlemmen ohne Smartphone sozusagen. Auch der (Arbeits-)Laptop sollte zugeklappt sein – es sei denn, ihr macht eine virtuelle Mittagspause zusammen. Im Home Office neigen außerdem viele von uns dazu, den Fernseher oder das Radio in der Pause einzuschalten. Besonders wenn man alleine wohnt, hat man dadurch eine nette Hintergrundgeräusch-Kulisse. Doch versucht auch hierbei, diese sogenannten Nebenbeimedien auszulassen. So könnt ihr euch ganz bewusst auf euer Essen konzentrieren ohne abgelenkt zu sein. Beim Mindful Eating geht es darum, sich ausführlich mit unseren Mahlzeiten zu beschäftigen. Versucht in der nächsten Mittagspause einfach mal ganz genau auf euer Essen zu achten, nehmt es mit all euren Sinnen wahr und beantwortet euch selbst folgende Fragen: Wie sieht euer Essen aus, welche Farben hat es und wie ist das Zusammenspiel der einzelnen Bestandteile eures Gerichts? Wie riecht es? Woher kommt es? Und wie ist seine Konsistenz? Und dann natürlich: Wie schmeckt es? Welche Gewürze könnt ihr beispielsweise herausschmecken? Wenn wir uns so auf unser Essen konzentrieren, sind wir automatisch achtsam. Mindful Eating kann überall, im Home Office, auf der Parkbank, in der Kantine oder in der Gemeinschaftsküche, praktiziert werden. Gerne auch mit Kolleg*innen zusammen – viel Freude dabei und: Guten Appetit! 

Achtsames Kommunizieren und Zuhören.
Eine meiner Glücksdefinitionen lautet: Glück ist Verbundenheit – mit sich selbst, seinen Mitmenschen und der Umwelt. Als soziale Wesen treten wir mit anderen in Verbindung und das mittels Kommunikation. Wir reden den lieben langen Tag: Am Morgen im Bäcker beim Brötchenkauf, beim Arbeiten sowieso mit unseren Kolleg:innen – ob vor Ort oder per Video-Chat – und Abends mit der Familie beim Essen. Während des Tages telefonieren wir dann noch mit Freunden oder schicken uns Sprachnachrichten hin und her. Das soll heißen: Wir kommunizieren ständig! Das ist auch gut so, denn so treten wir in den Austausch, können uns mitteilen und voneinander lernen. Doch wie viel davon machen wir wirklich auf eine achtsame Art und Weise? Wir erzählen unserem Partner, was auf der Arbeit heute passiert ist, während wir in Gedanken schon bei der Abendplanung sind und nebenher die Wäsche aufhängen. Und wenn das Gegenüber antwortet, überlegen wir oft auch schon unsere Antwort, legen uns Sätze zurecht oder schweifen gedanklich vielleicht sogar ab. Multitasking ist ein echter Achtsamkeits-Killer.  Bei achtsamer Kommunikation achten wir darauf, was wir sagen und vor allem auch wie wir es sagen. Wir geben nicht unseren Gefühlen die Oberhand, sondern wählen ganz bewusst unsere Worte aus. Eine Möglichkeit, seine eigenen Kommunikationsmuster zu überdenken, besteht im ersten Schritt darin, sein eigenes Zuhören zu verbessern. Kennt ihr solche Treffen, bei denen euch jemand etwas erzählt und ihr kurz darauf wieder vergessen habt, um was es überhaupt ging? Da wart ihr wohl mit euren Gedanken woanders. Wenn wir aufmerksam zuhören, stellen wir den Menschen in den Mittelpunkt und schenken echtes Interesse. Also heißt es wirklich mal: Nur zuhören und Klappe halten – dem Gegenüber seinen Raum geben und das Gesagte wertschätzen. Wir fahren den Lärm unserer eigenen Gedanken zurück und geben unserem Gesprächspartner die volle Aufmerksamkeit. Das geht nicht zwischen Tür und Angel – wir sollten uns allgemein für unsere Konversationen viel mehr Zeit nehmen. 
Probiert es aus: Versucht einen Tag lang wirklich jedem, der euch etwas erzählt, ganz genau zuzuhören, ohne allzu viel zu sagen. Und zieht am Ende des Tages ein Fazit: Wie hat sich das angefühlt? Was habt ihr vielleicht daraus gelernt? Über euch und eure Gesprächspartner*innen.
Wer sich hier weiter reindenken und -probieren möchte, dem lege ich die Praxis der „gewaltfreien Kommunikation“ ans Herz – hier haben wir noch viel zu lernen!
Und mein persönlicher erster Schritt hin zu achtsamer und bewussterer Kommunikation ist ganz schlicht: Augenkontakt.
Eine ganz simple Übung, die ich auch gerne bei Veranstaltungen mache: Sich gegenüber sitzen oder am besten stehen. Und nichts weiter tun als sich sehr aufmerksam in die Augen schauen. Ohne zu albern und zu lachen, sondern wirklich ganz beim Gegenüber sein. Voller Offenheit, Neugierde und Dankbarkeit. Das hat eine enorm starke Wirkung – auf alle Beteiligten. Und wenn man diese doch sehr persönliche Geste immer wieder mal praktiziert, im Vorbeigehen, beim Grüßen und vor allem beim Kommunizieren, sorgen wir für eine Menge Menschlichkeit im Alltag.

Meditation, ein Modewort?
Die klassische Methode zur Entwicklung der Achtsamkeit ist die Meditation. Achtsamkeit wird auch als Herzstück von Meditation angesehen. Meditieren kann gerade für Anfänger etwas befremdlich und auch schwierig sein, denn wie oft sitzen wir einfach nur so da, ohne etwas zu tun? Wir sind geprägt durch eine Gesellschaft, die vorzeigt, dass wir nur etwas sind, wenn wir etwas leisten. Doch das stimmt nicht: Wir sind, weil wir sind. Und es ist völlig okay, einfach nur zu sein. 
Wie könnt ihr also meditieren? Sucht euch zunächst einen ruhigen Ort aus, an dem ihr ganz ungestört sein könnt. Das bedeutet auch: Handy aus. Digital Detox für eine kurze Zeit. Setzt euch dann bequem hin. Ihr müsst nicht zwingend im Schneidersitz sitzen, sondern ganz wie ihr möchtet. Eine aufrechte Haltung wird allerdings empfohlen. Schließt dann eure Augen und nehmt ein paar tiefe Atemzüge, um vollkommen anzukommen. Ein und aus. Ein und aus. Und dann versucht, für ein paar Minuten einfach nur zu sein. Wenn Gedanken aufkommen – und sie werden aufkommen –, ist das auch in Ordnung. Schiebt sie dann einfach wieder liebevoll beiseite. Manchen hilft es, sich Gedanken als Wolken vorzustellen, die einfach wieder vorbeiziehen. Oder als Schiffe: Ihr sitzt gemütlich am Ufer und beobachtet eure Schiffe, wie sie hin und herfahren, ohne ihnen eine zu große Beachtung zu schenken oder sie gar ans Ufer einzuladen. Wenn man mit Meditationen beginnt, kann es sein, dass man unruhig wird. Das ist auch kein Wunder: Wir sammeln in unserem Alltag so viele Eindrücke, denken wahnsinnig viel nach und haben eine ganze Palette an Gefühlen in uns, die auch nicht immer die Möglichkeit haben, ans Tageslicht zu kommen. Wenn wir dann zur Ruhe kommen, fängt es an, in zu arbeiten. Je öfter man allerdings meditiert, desto leichter fällt es einem, völlig abzuschalten. Und so könnt ihr euch auch von Minute zu Minute steigern – bei jeder Meditation ein bisschen mehr. Und bitte keine Angst: Es geht nicht darum, Erleuchtung zu finden, sondern darum, anzukommen im Moment. Meditation ist nicht umsonst in den letzten Jahren so bekannt geworden, unglaublich viele Menschen praktizieren es auf unterschiedlichste Weise, denn es tut gut und hilft nachweislich dabei, einen ruhigeren und gelasseneren Lebensstil zu etablieren.
Ich gebe zu: Ich bin selbst kein Mensch, der regelmäßig meditiert. Und doch habe ich sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Besonders in dem zu Beginn erwähnten Wochenende im Wald. In meinen Alltag baue ich gerne kleine meditative Auszeiten ein. Zum Beispiel wenn ich Straßenbahn fahre, mit meinem Hund im Wald bin, im warmen Badewasser schwimme oder einfach nur aus dem Fenster schaue – Meditation to go sozusagen. 
Oft denken wir, wir hätten keine Zeit zum Meditieren. Doch das stimmt nicht. Wir können nämlich auch guten Gewissens uns während der Arbeit ein paar Augenblicke für uns selbst gönnen: Meditation macht nämlich nicht nur glücklich, sondern wir sind dadurch auch produktiver. 

Ministerialer Tipp:
Es gibt auch Apps, die euch bei Achtsamkeit unterstützen können, wie zum Beispiel von 7Mind, Balloon oder Headspace. Außerdem kann ich den Podcast „A mindful mess“ sehr empfehlen.

Auf Nimmerwiedersehen Vergangenes und Zukünftiges?
Achtsamkeit lehrt uns, dass es wichtig ist, uns auf den gegenwärtigen Augenblick zu konzentrieren. Bedeutet das aber etwa, wer Pläne, Visionen und Zukunftsträume hat, ist nicht achtsam? Ganz der Frage ableitend “Wenn man Visionen hat, sollte man zum Arzt gehen?” Von wegen! Wir brauchen mehr Macher, Spinner und Neudenker (nicht Querdenker ;)) – also Menschen, die klare, innovative und wertvolle Ideen haben und auch mutig genug sind, diese umzusetzen. Ideen, die neue Versionen unserer Gesellschaft zeichnen und so eine enkeltaugliche Zukunft schaffen, in der alle gut, gerne und glücklich leben können. Und auch für uns individuell ist es wichtig, Visionen zu haben. Wusstet ihr, dass unser Gehirn keinen Unterschied dabei macht, ob wir etwas tatsächlich erleben oder uns nur ausmalen? Also malt euch die tollsten Szenarien aus und staunt darüber, was alles Realität wird. Macht Pläne für eure Zukunft, überlegt euch, wie ihr in 5 oder 10 Jahren gerne leben möchte und legt dafür in der Gegenwart den ersten Stein. Das ist unglaublich wichtig, wenn man denn seine Flexibilität beibehält. Denn so richtig planen lässt sich das Leben ja sowieso nicht. 
Und wie sieht es mit der Vergangenheit aus? Zu lange darin zu verweilen und immer wieder bereits Erlebtes hochzuholen, ist sicherlich nicht gesund. Aber wir können auch von so vielem lernen, was wir bereits erlebt haben. Und ein bisschen melancholisch alten Fotoalben herauszuholen und in Erinnerungen zu schwelgen kann durchaus auch unser Glücksbarometer zum Steigen bringen. Die Glücksforscherin Sonja Lyubomirsky bringt es auf den Punkt: "Man kann es im Hier und Jetzt auch übertreiben. Zu einem blühendem Leben gehört es genauso, die Zukunft zu planen und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen" (Lyubomirsky, 2018, S. 213). Soll heißen: Seid so oft wie es nur geht achtsam und genießt das Hier und Jetzt, aber verurteilt euch nicht, wenn ihr euch ab und an gedanklich in der Vergangenheit und/oder der Zukunft befindet, sondern genießt auch diese Momente. 

Ihr seht: Wenn wir etwas achtsamer durch den Alltag gehen, eröffnen sich ganz viele wunderbare Möglichkeiten für uns: Wir werden stressfreier, leben gesünder, entdecken Neues und stärken unsere sozialen Beziehungen, indem wir achtsamer kommunizieren und zuhören. Wichtig ist aber auch hier, sich nicht unter Druck zu setzen: Wir müssen nicht immer und überall mit unserer vollen Aufmerksamkeit anwesend sein. Aber durch die kleinen achtsamen Anwendungen im Alltag, klappt es schon viel besser!

Und wie bei allem gilt: Seid nicht päpstlicher als der Papst oder um beim Bild des Buddhismus zu bleiben: Ihr müsst nicht gleich ins Kloster auswandern oder euch ein Mönchsgewand zulegen – macht es auf eure Art und Weise und überlegt euch, in welchen Situationen im Alltag ihr gerne „mehr bei der Sache“ und somit bei euch selbst wärt und dann geht es an, Schritt für Schritt und in eurem Tempo.

 

Quellen:

  • Brown, K. W., Ryan, R. M., & Creswell, J. D. (2007). Mindfulness: Theoretical foundations and evidence for its salutary effects. Psychological Inquiry, 18, 211–237.https://doi.org/10.1080/10478400701598298. 
  • Glomb, T. M., Duffy, M. K., Bono, J. E., & Yang, T. (2011). Mindfulness at work. Research in Personnel and Human Resources Management, 30, 115–157. https://doi.org/10.1108/S07427301(2011)0000030005 
  • Lyubomirsky, S. (2018). Glücklichsein: Warum Sie es in der Hand haben, zufrieden zu leben. London/ Frankfurt: Campus Verlag. 
     

Über die Autorin

Foto von Gina Schöler

Gina Schöler, Glücksministerin
Gina leitet die bundesweite Initiative „Ministerium für Glück und Wohlbefinden“ und ruft mit bunten Aktionen und Angeboten dazu auf, das Bruttonationalglück zu steigern. Mit bunten Aktionen und Angeboten wie Workshops und Vorträgen regt sie alltagsnah, auf Augenhöhe und mit viel Spaß zum Umdenken an: Wie wollen wir leben und arbeiten? Was macht uns dabei glücklich?

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