Glück und Erfolg – So individuell wie wir selbst

21.09.2020 | Gina Schöler

Mann mit ausgebreiteten Armen auf Felsen
Quelle: Pixabay von Pexles.com

“Lass dir von niemanden einreden, dass du etwas nicht kannst. Wenn du einen Traum hast, dann halte daran fest.” Das sagt Chris Gardner, alias Will Smith, in dem Film “Das Streben nach Glück” zu seinem sechsjährigen Sohn. Der Hollywoodstreifen zeigt den steinigen Werdegang eines schlecht verdienenden Verkäufers zu einem erfolgreichen Börsenmakler, quasi vom Tellerwäscher zum Millionär. Eine echte Erfolgsgeschichte! Oder etwa nicht? Was bedeutet es eigentlich, erfolgreich zu sein? Und hat unsere Vorstellung von Erfolg noch etwas mit unserem individuellen Glück zu tun?

Der steile Weg des Erfolgs

Wenn wir uns den Weg des vermutlichen Erfolgs anschauen, dann scheint dieser ein nicht enden wollender, immer steiler werdender Pfad zu sein: Haben wir das eine Ziel erreicht, jagen wir schon dem nächsten nach. Der ehemalige Top-Manager Rudolf Wötzel, bekannt aus dem Film „From Business to Being“, vergleicht das mit dem Erklimmen von Gipfeln: Man steht sehr früh auf, quält sich den langen Aufstieg hoch, an seine eigenen Grenzen kommend und sich fragend, was man eigentlich genau hier macht, kommt irgendwann erschöpft am Gipfel des Berges an, kann aber hier die Aussicht gar nicht genießen, weil man gedanklich schon wieder mit dem Abstiegt beschäftigt ist, um am nächsten Tag den nächsten Hügel zu bezwingen. 
Im Alltag sieht dieses Gipfel-Erklimmen dann ungefähr so aus: Wir strengen uns an, um einen guten Abschluss zu erzielen, damit wir einen anständigen Job mit vernünftigen Gehalt bekommen und arbeiten weiter für die nächste Beförderung, um uns selbst, unserem Chef und anderen etwas zu beweisen. Wir denken, von uns wird erwartet, dass wir Karriere machen und zwar in einem Job, der uns auch erfüllt und einen Sinn hat. Für wen oder was gehen wir den Weg des Erfolges eigentlich? Wir haben die Vorstellung, dass wir dadurch einen Zustand der Glückseligkeit erreichen: Wenn wir den nächsten Karrieresprung, für den nur noch ein paar Überstunden gemacht werden müssen, erklimmen, haben wir genug Einkommen, um uns die tolle Wohnung zu leisten, von der wir so lange träumen. Dann fehlt nur noch der perfekte Partner, das Kind, irgendwann später vielleicht sogar ein Haus und dann sind wir wirklich glücklich...oder etwa nicht? Das Hamsterrad, indem wir uns oft befinden, sieht ja bekanntermaßen von innen aus wie Karriereleiter. In diesem Rad geht es um höher, schneller, weiter. Wir drehen uns und drehen uns, ohne einmal anzuhalten, innezuhalten. Bei all dem Draufhinarbeiten vergessen wir uns oft zu fragen: Wozu mache ich das Ganze? Was bedeutet Erfolg für mich? Und insbesondere: Was macht mich glücklich?

Der Rasen des Nachbarns ist grüner

Eine Falle des Erfolges liegt darin, dass wir dazu tendieren, uns ständig und überall mit anderen Menschen zu vergleichen und uns darauf fokussieren, was wir nicht besitzen, ganz nach dem Motto: Der Rasen des Nachbars ist grüner! Die Medien tun ihr übriges dabei: Werbung zeigt uns auf, was wir alles besitzen und wie wir am besten aussehen sollten; die sozialen Kanäle werden bespielt mit Fotos von atemberaubenden Urlauben, schönen Körpern und glücklichen Beziehungen; auf den Karriereportalen können wir die genauen Lebensläufe und erfolgreichen Positionen unserer ehemaligen Mitschüler einsehen. Von dieser konstruierten Realität der Medien lassen wir uns allzuoft täuschen; wir glauben, dass wenn wir nicht das erreichen, nicht das besitzen, was andere haben, dann haben wir uns einfach nicht gut genug angestrengt. Sich mit anderen zu vergleichen liegt in der Natur des Menschen. Allerdings führt dies zu nichts anderem außer Neid und Missgunst, sowie zu falschen Vorstellungen von einem glücklichen Leben. Statt dieses Vergleichens sollten wir uns viel eher fragen: Brauche ich all das wirklich? Möchte ich wirklich die große perfekte Wiese, die mein Nachbar hat, oder bin ich eventuell vielmehr Typ Peter Lustig samt Bauwagen oder gar ein Fan von Sommer auf dem Balkon? Wir dürfen lernen, genauer darauf hören, was wir wirklich wollen, statt dem hinterher zujagen, was andere haben; zumal sich das Grün des Nachbarn beim genaueren Hinschauen vielleicht als Kunstrasen entpuppt. 

Glück ist im Hier und Jetzt

Wir sind zu oft damit beschäftigt, uns selbst zu optimieren, uns mit anderen zu vergleichen und in einem gewissen Sinne erfolgreich zu werden, dass wir keine Zeit mehr haben, uns zu fragen, was für uns eigentlich Erfolg bedeutet und was uns wirklich glücklich macht. Ständig befinden wir uns im Macher-Modus: Wir stehen auf, gehen zur Arbeit, planen zukünftige Ereignisse, denken über Fehler in der Vergangenheit nach und vergessen bei all dem, uns auf die Gegenwart zu konzentrieren. Dabei ist es unglaublich wichtig, dass wir uns immer wieder in das Hier und Jetzt zurückholen, uns auf uns und unseren Körper zu konzentrieren und uns Zeit zu nehmen, für wesentliche Fragen. Das klingt danach, als müsste man dafür einen mehrtägigen Workshop besuchen und Online-Kurse buchen, um die Fähigkeit zu erlangen, glücklich zu sein? Natürlich darf man gerne Workshops besuchen und sich zu Kursen anmelden, aber Glück ist nichts Riesiges, Unerreichbares, sondern kann ganz klein sein und einfache Glücksmomente können wir uns ganz leicht in den gegenwärtigen Augenblick holen. Ein wichtiges und doch so einfaches Hilfsmittel, uns in das Jetzt zu befördern, ist unsere eigene Atmung. Die Kunst hierbei liegt im bewussten Ein- und Ausatmen: Einen tiefen Atemzug ein, halten, und wieder die Luft langsam auslassen. Wenn ihr diese Atmung ein paar Mal wiederholt, seid ihr ganz bei euch. Das Großartige dabei ist, dass ihr bewusstes Atmen überall praktizieren könnt, ohne, dass es irgendwer anders bemerkt. Integriert es ganz einfach in euren Alltag, atmet bewusst zuhause im Badezimmer, an der Straßenbahnhaltestelle oder im Meeting. Ihr werdet merken, wie so etwas Einfaches wie Atmen, eure Gedanken um vergangene Ereignisse oder Sorgen um die Zukunft ausblendet, euch in den Moment zurückholt und dadurch einen Glückseffekt erzielt. Es ist sinnvoll, sich im Alltag immer wieder in den Moment zu holen, sich rauszunehmen und Zeit zu schöpfen. Nur wenn wir innehalten, können wir kreativ sein, neue Ideen entwickeln, über uns und unser Leben reflektieren und gegebenfalls etwas ändern, wenn wir mit aktuellen Zuständen nicht zufrieden sind. 

Kleine Gesten des Glücks

Wir alle möchten zufrieden in unserem Leben sein; das persönliche Glück ist also sehr erstrebenswert und doch oft schwer zu greifen. Die gute Botschaft hierbei ist, dass eine positive Sichtweise auf das Leben und damit auch Glück von jedem erlernt werden kann. Mit ganz kleinen Gesten im Alltag kann jeder Einzelne gute Gefühle in Gang setzen und somit einen Dominoeffekt des Glücks auslösen. Das geht zum Beispiel dadurch, dass wir dankbar sind dafür, was wir alles haben, statt nur darauf zu schauen, was uns fehlt. Manchmal hilft es uns aufzuschreiben, wofür wir alles dankbar sind: Unsere Eltern, die uns immer unterstützen, die eigene kleine Wohnung, in der wir uns ganz zuhause fühlen, oder auch winzige Dinge wie die sonnige Mittagspause oder das nette Gespräch mit der Kollegin. Probiert es aus und schreibt einfach mal auf, für was ihr heute, an diesem Tag dankbar seid. Ihr werdet merken, dass da einiges zusammen kommt und wie sich eure Perspektive ändert Richtung Zufriedenheit. Weitere alltägliche Gesten, die unser und das Wohlbefinden anderer steigert sind Wertschätzungen: Ein aufrichtiges Dankeschön, eine liebe Nachricht – vielleicht sogar auf altmodischem Wege per Brief – echte Liebdrücker oder ein netter Plausch sind nur einige Beispiele, wie wir unsere Wertschätzung anderen gegenüber zum Ausdruck bringen können. Unsere Gesellschaft sollte sich im Allgemeinen dahingehend positiv verändern, dass wir uns vielmehr von Mensch zu Mensch, von Herz zu Herz begegnen, und im Miteinander sind, statt gegeneinander zu sein. So können wir gemeinsam das Bruttonationalglück steigern und eine bessere Gesellschaft hervorbringen.

“Ich bin glücklich” = “Ich bin erfolgreich”

Indem wir tun, was uns glücklich macht, sind wir ganz automatisch auch erfolgreich dabei. Umgekehrt sind wir sicherlich nicht zufrieden im Leben, wenn unser Job uns auslaugt oder wir in einer unglücklichen Beziehung feststecken, und dann können wir weder Erfolg bei unserer Arbeit noch in der Partnerschaft haben. Glück und Erfolg sind so individuell wie wir selbst. Deshalb fragt euch einfach mal: Was zählt wirklich? Was ist mir, mir ganz persönlich und niemandem anderen, wichtig? Habt ihr euch schon mal ausgiebig Gedanken über eure eigenen Werte gemacht? Das verschafft ungemeine Klarheit über das eigene Handeln und vor allem auch in Entscheidungsprozessen. Und wer aus vollem Herzen, ganz und gar nach seinen Werten lebt, führt auch ein erfolgreiches Leben.

Vielleicht liegt der Schlüssel im Erfolgreichsein ganz einfach darin, unsere Vorstellung darüber, was Erfolg bedeutet, zu überdenken und neu zu definieren. Ralf Waldo Emerson besagt, dass wir erfolgreich im Leben sind, wenn wir “oft und viel zu lachen; die Achtung intelligenter Menschen und die Zuneigung von Kindern zu gewinnen; die Anerkennung aufrichtiger Kritiker zu verdienen und den Verrat falscher Freunde zu ertragen; Schönheit zu bewundern, in anderen das Beste zu finden; die Welt ein wenig besser zu verlassen, ob durch ein glückliches Kind, einen bestellten Garten oder einen kleinen Beitrag zur Verbesserung der Gesellschaft; zu wissen, dass wenigstens das Leben eines Menschen leichter war, weil Du gelebt hast – das bedeutet, nicht umsonst gelebt zu haben.” . Dies ist eine ganz andere Sicht auf Erfolg, wie diejenige, die uns die Gesellschaft auferlegt hat. Wenn wir also unsere Perspektive ändern, nicht alle danach streben so schnell wie möglich die Karriereleiter zu erklimmen, sondern vielmehr uns zum (Lebens)Ziel setzen, viel zu lachen, Schönheit zu bewundern und durch unseren kleinen Anteil die Welt zu einem besseren Ort zu machen, dann sind wir wahrhaftig erfolgreich. 

Erfolgreich in der heutigen (Arbeits)Welt

Lässt sich diese Anschauung tatsächlich auch auf die heutige Arbeitswelt anwenden, in der es in erster Linie um Gewinnmaximierung geht? Mit Sicherheit! Denn gerade bei der jungen Generation zeigt sich, dass diese Karriere nicht mehr nur danach definiert, wie viel Geld sie mit einem bestimmten Job verdienen, sondern welcher Beruf ihnen einen Sinn gibt und die Möglichkeit bietet, ihre Zeit selbst einzuteilen, weniger zu arbeiten und dafür mehr in die eigenen Träume zu investieren. Manchmal hilft es sich die Frage zu stellen: “Was wäre, wenn ich könnte, wie ich wollte”? Was wäre also beispielsweise, wenn du dir keine Sorgen um deine finanzielle Absicherung machen würdest? Wärst du dann immer noch in dem Unternehmen, in der Position, in dem/der du aktuell bist oder würdest du vielleicht einen anderen Weg einschlagen? Und das ist auch die Kernbotschaft aus “Das Streben nach Glück”: Nicht, dass jeder viel Geld verdienen soll, sondern dass wir auf unser Inneres hören, überprüfen, was uns glücklich macht, und unsere Träume verwirklichen. Wenn es dein Traum ist, viel Geld zu verdienen, dann ist das auch gut, aber es sollte dein Ziel sein und keines, dass dir die Gesellschaft eingeprägt hat. Wenn es aber dein Traum ist ein kleines Café zu eröffnen, du aber – geprägt durch andere und deine eigenen Ängste – einen Beruf ausübst, der dir keine Freude bereitet, sondern dir lediglich viel Geld auf dein Konto bringt, dann darfst du dir deinen Traum nochmal genau anschauen. Der oben genannte ehemalige Top-Manager Rudolf Wötzel beispielsweise erkannte irgendwann, dass sein gut bezahlter Job ihn auslaugt und er etwas ändern müsse im Leben, da er sonst – wie so viele andere auch – an psychischen Leiden wie Burnout zu Grunde geht. Heute ist er Besitzer eines Wirtshauses in der Schweiz, serviert Hausmannskost und ist mehr als glücklich dabei.  

Wie werde ich persönlich erfolgreich?

Erfolg wird uns als das ultimative Ziel im Leben vermittelt; darauf arbeiten wir hin und verlieren uns häufig dabei, weil wir nur diesen einen Weg vor Auge haben und uns nicht nach rechts oder links umsehen. Dabei gibt es um uns herum so viel Wunderbares zu sehen, wir müssen lediglich die Augen aufhalten. Wenn wir uns von der Ansicht des großen Erfolges lösen und ein erfolgreiches Leben vielmehr danach definieren, was uns glücklich macht, dann werden wir im wahrsten Sinne auch Erfolg haben. Dafür ist es erforderlich, dass wir unseren Drang nach Selbstoptimierung etwas zurückschrauben, uns nicht ständig mit anderen Menschen vergleichen und wieder lernen, auf unser Herz, unsere innere Stimme zu hören. Das gelingt uns nicht zwischen Tür und Angel, während wir auf das nächste Meeting, das in 10 Minuten beginnt, warten, sondern dann, wenn wir uns ganz bewusst Raum und Zeit für uns selbst schaffen. Probiert es einfach mal aus: Nehmt euch vielleicht einen Nachmittag nur für euch frei, oder wenn möglich auch einen ganzen Tag, vielleicht sogar ein Wochenende und besinnt euch darauf, was euch glücklich macht. Starrt die Frage solange an, bis ihr eine Antwort habt. Vielleicht kommt sie nicht sofort, sondern braucht etwas Zeit, um zu reifen, aber sie wird kommen. Das kann auch dauern – seid geduldig mit euch und eurem Glück, seht es als Beginn eines Prozesses an, als Erkundungstour, als Experiment, das euch vor Herausforderungen stellen, Abenteuer erleben, Tränchen vergießen lassen, aber vor allem viel Freude bereiten wird!  Und mit dem Umsetzen eures Glücklichseins werdet ihr auch Erfolg verspüren – bei allem, was ihr anpackt. Viel Erfolg dabei.

Über die Autorin

Foto von Gina Schöler

Gina Schöler, Glücksministerin
Gina leitet die bundesweite Initiative „Ministerium für Glück und Wohlbefinden“ und ruft mit bunten Aktionen und Angeboten dazu auf, das Bruttonationalglück zu steigern. Mit bunten Aktionen und Angeboten wie Workshops und Vorträgen regt sie alltagsnah, auf Augenhöhe und mit viel Spaß zum Umdenken an: Wie wollen wir leben und arbeiten? Was macht uns dabei glücklich?

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