Keynote Speaker Dr. Utz Niklas Walter: „Systematisches Kräfte-Sammeln hält Leistungskurve hoch“

21.03.2019 | Linda Dommes

Foto von Dr. Utz Niklas Walter
Quelle: Dr. Utz Niklas Walter

67 Prozent der Beschäftigten wünschen sich Schlafpausen im Arbeitsalltag (IFBG, 2019). Und 30,1 Prozent der männlichen und 40,7 Prozent der weiblichen Erwerbstätigen klagen über Einschlaf- oder Durchschlafstörungen (DAK, 2017). Dr. Utz Niklas Walter zeigt in seinem Keynote-Vortrag auf, wie Unternehmen ihre Beschäftigten im Bereich Schlaf innovativ unterstützen können – von Guerilla-Aktionen auf der Betriebsversammlung über die Schulung von Führungskräften zu Schlafbotschaftern bis hin zum Schlafkonzert. Dabei verrät Dr. Walter auf der Corporate Health Convention auch seine besten Schlaftipps aus 10 Jahren Beratungsarbeit.

Herr Dr. Walter, Sie forschen zum Thema „Schlaf“ und haben kürzlich herausgefunden, dass 67 Prozent der Beschäftigten sich manchmal oder immer Schlafpausen im Arbeitsalltag wünschen. Wie ist dieser Wunsch aus Ihrer Sicht mit den steigenden Anforderungen in der Berufswelt in Einklang zu bringen?

Zunächst einmal kann es sein, dass der Wunsch nach Schlafpausen mit den vielerorts steigenden Anforderungen bei der Arbeit zusammenhängt. Viele Beschäftigte sehnen sich offenbar nach einem „Auftanken“ im Tagesverlauf. Und eine Schlafpause lässt sich durchaus mit den betrieblichen Anforderungen in Einklang bringen. Denn sie sollte nicht länger als 15 Minuten ab dem Zeitpunkt des Einschlafens sein. Dann ist es am wahrscheinlichsten, dass Sie nicht in die Tiefschlafphase fallen und bis zu drei Stunden Leistungsverbesserungen haben.

Wie können Unternehmen Ihre Mitarbeiter dabei ganz konkret unterstützen?

Da wäre an erster Stelle die Kultur zu nennen. Solange Führungskräfte oder Mitarbeiter ihre schlafenden Kollegen belächeln, kommen wir hier nicht weiter. Ein hilfreicher Ansatz ist hier die Ausbildung von betrieblichen Akteuren zu so genannten Schlafbotschaftern, die Offenheit für das Thema schaffen. Ein weiteres wichtiges Handlungsfeld ist die Einrichtung von Schlaf- oder Ruheräumen. Ja, das kostet zwar Geld, wird aber auf große Akzeptanz stoßen, sofern man es gut macht. Ganz wichtig sind klare Verhaltens- und Diskretionsregeln sowie hohe Hygienestandards. Zudem sollte der Raum zentral liegen, so dass man ihn möglichst direkt im Anschluss an das Essen in der Kantine aufsuchen kann. Ein Kellerraum, der gerade durch Zufall leer steht, ist nicht die richtige Wahl.

Ist „Schlaf“ nicht eigentlich ein „privates“ Thema? Warum werben Sie dafür, dass Unternehmen Ihre Mitarbeiter im Bereich „Schlaf“ unterstützen?

Schlaf determiniert die kognitive und motorische Leistungsfähigkeit. Je erholsamer der Nachtschlaf, desto wahrscheinlicher sind Höchstleistungen bzw. positive Anpassungserscheinungen des Organismus. Auch auf die Grundgestimmtheit und die Gesundheit wirkt sich Schlaf aus. Zudem gehen Forscher von einem so genannten „Replay-Effekt“ durch Schlaf aus, womit die nächtliche Abspeicherung von neu gelerntem Wissen gemeint ist. Es gibt also genug Argumente, weshalb sich Unternehmen diesem Thema öffnen sollten.

Gerade Führungskräfte definieren sich oft über Mehrarbeit und profilieren sich damit, mit besonders wenig Schlaf auszukommen. Wie überzeugen Sie Geschäftsführung und Co. von der Wichtigkeit von Erholung und Schlaf?

Ja, das ist hierzulande immer noch ein Problem. Auch in den Medien wird immer noch positiv herausgestellt, wenn ein CEO bspw. bis 22 Uhr abends im Büro sitzt. Allerdings glauben laut whatsnext-Studie knapp 72% der Geschäftsführenden in Deutschland, dass das Thema Schlaf und Erholung im Jahr 2022 eine hohe Bedeutung haben wird. Die Unternehmensverantwortlichen scheinen also erkannt zu haben, welches Potenzial in diesem Handlungsfeld steckt. Wir empfehlen in jedem Fall einen engen Dialog mit der Geschäftsführung. Gemeinsam kann man Informationskampagnen entwickeln (z. B. „Yes We Penn!“) oder das Thema in Betriebsvereinbarungen oder in das Unternehmensleitbild aufnehmen. Auch verrücktere Aktionen wie ein Schlafkonzert oder ein Schlaf-Parcours in der Kantine, an denen sich die Geschäftsführung aktiv beteiligt, können ein Umdenken anstoßen.

Die whatsnext-Studie hat ergeben, dass in Sachen Gesundheitsförderung vor allem Unternehmen der Finanz- und Versicherungsbranche besonders weit sind. Wie erklären Sie sich das, denn vor allem die Finanzbranche hat den Ruf, Workaholics anzuziehen?

Die whatsnext-Studie hat zunächst einmal gezeigt, dass Unternehmen der Finanz- und Versicherungsbranche mehr Gesundheitsmaßnahmen anbieten als andere Branchen. Das sagt aber noch nichts über die tatsächliche Gesundheitskultur in den Organisationen aus. Der Vorwurf des Aktionismus wäre an dieser Stelle nicht fair. Aber es ist schon so, dass einige Finanz- und Versicherungsunternehmen eher Wohlfühlmaßnahmen anbieten, als wirklich etwas an den Arbeitsbedingungen zu ändern. Das gilt aber gewiss nicht für alle Unternehmen der Branche. Es gibt auch einige „Leuchttürme“, die herausragende Arbeit leisten.

Sehen Sie die zunehmende Verschmelzung von Arbeit und Freizeit eher als Chance oder Risiko für mehr Erholung und Schlafpausen bei Mitarbeitern und Führungskräften?

Das ist eine spannende Frage. Ich sage es mal so: beides. Bei Freelancern, die orts- und zeitunabhängig arbeiten können, stellen wir z. B. fest, dass Sie stark nach ihrem tatsächlichen Biorhythmus leben. Soll heißen: Der Spättyp (Eule) startet erst am späten Morgen und arbeitet teilweise bis in die Nachtstunden hinein, während der Frühtyp (Lerche) bereits um 7 Uhr beginnt, dafür aber vielleicht einen Mittagsschlaf hält. Das bewerte ich zunächst einmal positiv. Im Gegenzug hat diese Berufsgruppe häufig das Problem der Entgrenzung. Einen wirklichen Feierabend kennen viele Freelancer nicht, der für einen erholsamen Schlaf aber sehr entscheidend sein kann. Ich würde klassischen Arbeitnehmern folgendes empfehlen, sofern möglich: Machen Sie immer wieder Gebrauch von Gleitzeit- und Home-Office-Angeboten, legen Sie Schlafpausen am Nachmittag ein und trennen Sie dennoch klar zwischen Arbeit und Freizeit.

Über den Autoren

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Dr. Utz Niklas Walter, Leiter Instituts für Betriebliche Gesundheitsberatung

Dr. Utz Niklas Walter ist Leiter des Instituts für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG), das sich als Ausgründung von Wissenschaftlern der Universitäten Konstanz, München (TU) und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) auf Zukunftsthemen in der BGF spezialisiert hat. Das IFBG setzt derzeit einige innovative Gesundheitsmaßnahmen mit Unternehmen und Behörden um und evaluiert diese wissenschaftlich.

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