Theoriebasierte Verhaltensänderung im betrieblichen Setting fördern

06.08.2020 | MOOVE GmbH

Quelle: MOOVE GmbH

Eine wirksame und nachhaltige Verhaltensänderung zu erreichen, kann wohl als „Heiliger Gral“ im Bereich des Betrieblichen Gesundheitsmanagements bezeichnet werden. Zu verlockend ist die Vorstellung, einen Mitarbeiter durch die unternehmenseigenen Gesundheitsmaßnahmen und Interventionen zu mehr Bewegung, einer gesünderen Ernährung oder zum besseren Umfang mit Stress zu ermutigen und damit wichtige Risikofaktoren zu reduzieren.

Oftmals wird bei der Planung von Angeboten jedoch dem Irrglauben verfallen, dass die alleinige Teilnahme an Maßnahmen - wie der wöchentlichen aktiven Pause oder verschiedenen Gesundheitsworkshops - bereits zu einer Verhaltensänderung führt. Und das, obwohl sich in der Praxis immer wieder zeigt, wie komplex die menschliche Verhaltenssteuerung ist und wie wenig fundiertes Wissen oder sogar eine kommunizierte Absicht - wie „ich werde ab nächster Woche mehr Sport treiben“ - bei der tatsächlichen Verhaltensumsetzung hilft.

Dieser Artikel beschäftigt sich mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Verhaltensänderung, um dieses Wissen zukünftig vermehrt in die Planung von betrieblichen Gesundheitsinterventionen einbringen zu können. Denn gerade in der aktuellen Corona-Phase, in der Maßnahmen im Bereich des etrieblichen Gesundheitsmanagements vielfach auf dem Prüfstand stehen, sind wirksame und wissenschaftlich begründbare Konzepte für viele BGM-Verantwortliche essenziell.

Die gesundheitspsychologische Forschung beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Frage, welche Faktoren notwendig sind, damit aus einer Absicht (Intention) ein tatsächliches Verhalten wird. Dabei ist die reine Motivation oftmals die kleinste Herausforderung, denn auch motivierten Personen fällt es schwer, das Vorhaben auch in die Tat umzusetzen. Betriebliche Interventionen sollten sich daher auf die konkrete Umsetzungsunterstützung fokussieren, da das Wissen um die Notwendigkeit und die positiven Effekte eines gesunden Lebensstils in vielen Fällen bereits vorhanden sind.

Vor diesem Hintergrund fokussiert sich dieser Artikel auf Prozesse der Selbstregulation und Selbstkontrolle, die es ermöglichen eine Absicht in die Tat umzusetzen, auch wenn äußere oder innere Barrieren auftreten. Ein Modell, welches viele wirksame Erkenntnisse aus anderen Theorien der Verhaltensänderung zusammenfasst, ist das MoVo-Modell von Fuchs (2006), das seine Wirksamkeit bereits in vielen Studien unter Beweis gestellt hat.

Nach diesem Modell sind der Aufbau und die Aufrechterhaltung eines Gesundheitsverhaltens - vereinfacht gesagt - von fünf Faktoren abhängig, die auch in betrieblichen Konzepten eingesetzt werden können. Am besten lassen sich diese Faktoren und Tipps in kleine Gruppen- oder Einzelcoachings, die ergänzend zu klassischen Praxiseinheiten oder Workshops angeboten werden, integrieren. Wie das möglich ist, wird in den folgenden Praxistipps deutlich.

1. Eine starke Zielintention

Eine Zielintention ist eine Absichtserklärung - wie „ich möchte regelmäßig trainieren, um meine Ausdauer zu steigern“ -, die auch als Grundmotivation gesehen werden kann. Die Stärke der Absichtserklärung ist dabei stark von den erwarteten Vor- und Nachteilen des geplanten Verhaltens (Konsequenzerwartungen) und von der eigenen Selbstwirksamkeitserwartung abhängig. Menschen sind immer dann besonders motiviert, wenn der erwartete Nutzen (Konsequenz) die Kosten oder den eingesetzten Aufwand deutlich übersteigt und wenn sie sicher sind, ihr eigenes Verhalten kontrollieren zu können. In der Praxis kann eine starke Zielintention beispielsweise durch folgende Tipps gefördert werden:

Praxistipps

  • Durch die Reflexion eigener positiver Erfahrungen oder Erfahrungen von anderen Teilnehmern wird stets eine positive Konsequenzerwartung gefördert. Es können hier Erfahrungen und Berichte von Teilnehmern geteilt werden, die schon einmal erfolgreich in einer ähnlichen „Disziplin“ waren.
  • Eine Förderung der Selbstwirksamkeitserwartung kann durch Reflexion bisheriger Erfolge sowie durch - an das individuelle Leistungsniveau angepasste Inhalte - regelmäßige Erfolgserlebnisse ermöglicht werden.
  • Verschriftlichung der eigenen Absichtserklärung in einem Teilnehmerkursbuch, das z. B. auch in Kooperation mit einer gesetzlichen Krankenversicherung gestaltet werden kann.
  • Individuelle Anfertigung einer Pro- und Contra-Liste zum geplanten Verhalten.

2. Eine hohe Selbstkonkordanz

Die Selbstkonkordanz einer Absicht beschreibt, inwieweit sie mit den Interessen, Werten und dem Selbstbild einer Person übereinstimmt. Die Selbstkonkordanz ist umso höher, je mehr ein Ziel oder eine Absicht aus einer Person selbst stammt, d. h. wie sehr sie intrinsisch motiviert ist. Die höchste Selbstkonkordanz liegt dann vor, wenn eine Aktivität, wie z. B. Sport, aus Spaß an der Sache durchgeführt wird. Die niedrigste Selbstkonkordanz liegt vor, wenn die Gründe rein extern, z. B. in einer verpflichtenden Teilnahme oder in einer finanziellen Rückerstattung liegen. Eine hohe Selbstkonkordanz kann durch folgende Tipps unterstützt werden:

Praxistipps:

  • Gesundheitsförderliche Maßnahmen sollten immer auf Basis einer Bedarfserhebung geplant werden, um die Interessen, Wünsche und Ziele einer möglichst großen Gruppe berücksichtigen zu können.
  • Spaß und Freude sollten bei allen Maßnahmen ein zentraler Bestandteil sein.
  • Die Maßnahmen sollten eine Unterstützung für individuelle Ziele der Teilnehmer bieten, in einem Themenbereich, wie z. B. Bewegung, Ernährung oder Entspannung.
  • Integration der Mitarbeiter in die Auswahl und Planungen der Maßnahmen, um die Identifikation mit angebotenen Maßnahmen zu steigern.

3. Realistische und konkrete Handlungsplanung

Ein starkes Ziel, das gut mit den eigenen Werten übereinstimmt reicht leider noch nicht aus, um ein Verhalten auch wirklich in die Tat umzusetzen. Das liegt hauptsächlich daran, dass der konkrete Weg dorthin noch nicht definiert ist und das Ziel noch zu groß und unerreichbar scheint. Durch eine konkrete Handlungsplanung werden die nötigen Schritte zur Zielerreichung möglichst genau definiert und auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt. Jeder Teilnehmer sollte dabei einen individuellen Plan erstellen, der dann im Austausch mit einem Experten besprochen wird. Für ein Konzept kann sich an diesen Praxistipps orientiert werden:

Praxistipps:

  • Die Teilnehmer sollten konkrete Pläne erstellen und im Optimalfall auch verschriftlichen.
  • Ein Handlungsplan sollte möglichst präzise und praktikabel sein und diese Fragen beantworten:
    - Was werde ich tun? (z. B. Radfahren)
    - Wie werde ich es tun? (z. B. nach einem individuellen 12-wöchigen Trainingsplan)
    - Wann werde ich es tun? (z. B. immer montags und donnerstags nach der Arbeit um 18 Uhr)
    - Wo werde ich es tun? (z. B. im Park auf dem Nachhauseweg)
    - Warum werde ich es tun? (z. B. um die Ausdauer zu steigern und mittelfristig den Blutdruck zu senken)
    - Welche Probleme und Herausforderungen können auftreten? (z. B. schlechtes Wetter, Überstunden)
  • Die individuellen Pläne sollten immer durch einen Experten geprüft werden, um sicherzustellen, dass mit den geplanten Schritten das Ziel auch realistisch erreicht werden kann. So kann verhindert werden, dass bspw. versucht wird das Ziel „Ich möchte 10 Kilogramm abnehmen“ durch den Plan „ich werde Montag und Donnerstag jeweils 30 Minuten Radfahren gehen“ zu erreichen. Unrealistische Ziele sorgen für Frust und somit negative Konsequenzerfahrungen bei den Teilnehmern. Um diese zu verhindern, sollten die Ziele steht realistisch und umsetzbar gesetzt werden.
  • Die Handlungspläne sollten immer wieder reflektiert und an neue Gegebenheiten angepasst werden. Denn nicht nur in der Kriegstheorie gilt der Satz „Kein Plan überlebt den ersten Feindkontakt (Praxis)“.

4. Wirksame Strategien der Handlungskontrolle

In der Praxis scheitern gute Ziele und Absichten oder sogar konkrete Pläne häufig an unvorhergesehenen internen und externen Barrieren und Widerständen. Barrieren umfassen z. B. Zeitprobleme, das Wetter, Motivationsverlust oder auch familiäre Verpflichtungen und werden mit einer hohen Wahrscheinlichkeit im Laufe einer Verhaltensänderung auftreten.

Für eine wirksame und nachhaltige Änderung des Gesundheitsverhaltens ist es daher essenziell, mögliche Barrieren und Herausforderungen zu reflektieren sowie vorab passende Strategien zur Lösungsfindung zu erarbeiten.

Vereinfacht gesagt: Wer über sich weiß, dass er sich nachdem er Zuhause ist nicht mehr „aufraffen“ kann, sollte seine Bewegungseinheit von Anfang an in oder nach der Arbeit planen, um die Hürde erst gar nicht entstehen zu lassen. Als Antwort auf schlechtes Wetter sollten immer Alternativen, wie ein kurzes, intensives Home-Training erarbeitet werden, um sich in der Situation sofort umstellen zu können. Aber auch kognitive Strategien, wie „Orientierung auf positive Konsequenzen“ oder auch „Autosuggestion“ können Teil eines wirksamen Barrierenmanagements sein.

Praxistipps:

  • Methoden des Barrierenmanagement aktiv in das Gesundheitsprogramm einbauen.
  • Förderung und Ermöglichen der Bildung von Tandems, da die soziale Unterstützung durch einen Partner ein wirksames Mittel gegen verschiedene Handlungsbarrieren darstellt.
  • Kurse und Angebote während der Arbeitszeit anbieten, um zeitliche und räumliche Hürden zu verringern.
  • Ermöglichen von flexiblen und gleichzeitig planbaren Arbeitszeiten.

5. Positive Konsequenzerfahrungen

Wenn ein geplantes Verhalten, wie zwei Mal pro Woche laufen gehen, nun begonnen wurde, wird insbesondere das Konstrukt der Konsequenzerfahrungen zentral. Die Konsequenzerfahrung beschreibt die Bewertung des neuen Verhaltens anhand der bestehenden Erwartungen.

Diese Erwartungen können positiv sein …

  • „ich werde Gewicht verlieren“
  • „ich werde mich fitter und gesünder fühlen“
  • „ich werde neue Menschen kennenlernen“

… oder negativ

  • „ich werde mich vermutlich immer überwinden müssen“
  • „ich werde mich verletzen“.

Die Erwartungen werden in unbewussten kognitiven Prozessen abgeglichen und bewertet und bilden somit die Konsequenzerfahrungen des neuen Verhaltens. Positive Erfahrungen erzeugen dabei Zufriedenheit, Motivation und Selbstbewusstsein und steigern die Wahrscheinlichkeit, dass ein Verhalten langfristig aufrechterhalten wird. Mehrere negative Erfahrungen können schließlich schnell zum Abbruch führen, da der Sinn und die Wirksamkeit des Verhaltens nicht mehr spürbar sind.

Praxistipps:

  • Erfassen der Erwartungen der Teilnehmer, um eine realistische Erwartungshaltung zu erzeugen.
  • Ermöglichen regelmäßiger Erfolgserlebnisse für jeden Teilnehmer.
  • Veränderungen messbar machen, um Ziele und Zwischenziele erreichen zu können und Erfolge zu ermöglichen.

Wirksamkeit

In den vergangenen Jahren wurden die genannten Faktoren des MoVo-Modells in verschiedene Praxisinterventionen integriert und wissenschaftlich evaluiert. Dabei konnte sowohl im Reha-Setting als auch im betrieblichen Setting nachgewiesen werden, dass die Bewegungsaktivität - im Vergleich zu einer Kontrollgruppe - nach 6 Wochen sowie nach 6 und 12 Monaten signifikant höher ausfiel, wenn die genannten psychologischen Faktoren eingesetzt wurden. Die Kontrollgruppen führten hingegen nur ein sportpraktisches Training ohne kognitive Interventionstechniken durch.

Auch insgesamt zeigen Forschungsergebnisse, dass Interventionen, die auf anerkannten Theorien der Verhaltensänderung basieren effektiver als Interventionen ohne theoretische Fundierung sind.

Nachhaltige und langfristige Verhaltensänderung

Neben dem Einsatz von Coachingaspekten in Form der genannten Verhaltensänderungstechniken gibt es aus der Praxis weitere Tipps, um eine langfristige und nachhaltige Verhaltensänderung zu erreichen.

Refresher

Refresher sind kleine Einheiten, die genutzt werden können, um vermittelte Inhalte regelmäßig zu wiederholen, Herausforderung und Barrieren zu besprechen und ggfs. Ziele und Handlungspläne anzupassen. Aus verhaltenspsychologischer Sicht sollten in diesen Einheiten folgende Aspekte berücksichtigt werden:

  • Kleine Wissensnuggets anbieten, um regelmäßiges Lernen zu ermöglichen.

  • Fokus auf Erfolge und positive Veränderung im gegenseitigen Gruppenaustausch.

  • Hervorheben von Best-Practice-Beispielen von Teilnehmern der Gruppe.

  • Reflexion der Probleme und Barrieren und Erarbeitung von Lösungsvorschlägen in der Gruppe.

  • Anpassung der Ziele sowie der Handlungspläne auf neue Gegebenheiten.

Digitale Unterstützungsmöglichkeiten

Gesundheitsapps können eine Verhaltensänderung wirksam unterstützen, wenn sie in ein strukturiertes Gesamtkonzept eingebettet werden. Beispielsweise können Schritte-Challenges - durch die gemeinsame Zielsetzung - die soziale Verbundenheit stärken und durch den spielerischen und wettbewerbsorientierten Ansatz, Spaß und Motivation fördern.

Weiterhin eignen sich Gesundheitsapps optimal, um für die Barrieren, wie Zeitknappheit oder schlechtes Wetter eine einfache Alternative durch ein zeiteffektives Training von Zuhause zu ermöglichen.

Doch selbst einfache Gruppenchats in bekannten Messenger-Apps können eine Verhaltensänderung unterstützen, indem sie die Kommunikation erleichtern und Barrieren und Erfolge leichter teilbar machen, und so eine Möglichkeit für soziale Unterstützung bieten.

Nudging

Nudging ist eine sehr sanfte und unbewusste Form der Verhaltensunterstützung, die sich ebenfalls sehr gut als Ergänzung in Verhaltensänderungskonzepte einbauen lässt.

Zusammenfassung

Wer mit Menschen arbeitet, weiß, wie komplex menschliches Verhalten sein kann und wie schwierig es ist, eine wirksame Änderung des individuellen Gesundheitsverhaltens zu erreichen. Es existieren verschiedene gesundheitspsychologische Modelle, um diese Komplexität zu reduzieren, die jedoch in der täglichen Praxis der Betrieblichen Gesundheitsförderung noch zu wenig eingesetzt werden.

Anstatt weiterhin zu hoffen, dass sich durch rein motivierende, informierende oder praktische Gesundheitsangebote nebenbei auch das Gesundheitsverhalten ändert, sollten wissenschaftliche Erkenntnisse genutzt werden, um die identifizierten Faktoren, wie positive Konsequenzerfahrungen, Strategien der Handlungskontrolle, konkrete Handlungsplanung etc. aktiv und geplant zu beeinflussen.

Erst durch eine strukturierte und theoriebasierte Maßnahmenplanung steigt die Wahrscheinlichkeit die gesetzten Ziele zu erreichen und die gewählten Inhalte und Maßnahmen erfolgreich gegenüber Entscheidungsträgern argumentieren zu können.

Nutzen Sie daher die vorhandenen Erkenntnisse und integrieren Sie die genannten Tipps in Ihr nächstes Gesundheitsprojekt. Viel Spaß bei der Umsetzung!

Haben Sie Fragen oder Unterstützungsbedarf? Dann wenden Sie sich jederzeit an unsere Experten und besprechen Ihre Bedarfe und Zielsetzungen zur gemeinsamen Planung von Maßnahmen.

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