Warum es im BGM keine schwierigen Zielgruppen gibt

03.09.2020 | MOOVE GmbH

oove Zielgruppen im BGM
Quelle: Pixabay

Unter BGM-Verantwortlichen in Unternehmen, Krankenkassen oder bei Dienstleistern schwingt bei einem Thema häufig eine spürbare Resignation und Unzufriedenheit mit: Immer dann, wenn es um die Reichweite und die erreichten Teilnehmerzahlen der angebotenen Gesundheitsmaßnahmen geht.

Studien belegen, dass insbesondere durch klassische BGF-Maßnahmen nur ein kleiner Anteil - oftmals nicht mehr als 10 % der Beschäftigten - innerhalb eines Jahres erreicht werden. Unter diesen 10 % finden sich häufig bereits gesundheitsaffine Personen und nicht diejenigen Beschäftigten mit bestehenden Risikofaktoren oder ungesunden Verhaltensweisen. Schnell werden diese Personengruppen als „schwierige Zielgruppen“ abgetan, da sie sich durch eine einfache Bewerbung analog zum Fitnessmarkt nicht angesprochen fühlen.

Doch wenn die Hauptaussage, die hinter diesem Artikel steht - dass es im BGM keine schwierigen Zielgruppen gibt - stimmt, muss sich die Frage gestellt werden, ob aktuell bestehende Ansätze und Maßnahmen noch nicht passgenau sind, um diese Zielgruppen anzusprechen und wie genau eine adäquatere Zielgruppenansprache erfolgen kann.

In vorherigen Blogartikeln (https://www.my-moove.de/2020/07/29/theoriebasierte-verhaltensaenderung/) wurde eine ähnliche Herausforderung erläutert, die die richtige Zielgruppenansprache im Allgemeinen auf Basis von theoriebasierten Verhaltensänderungen aufgreift. Nachhaltige Verhaltensänderungen werden erreicht, wenn die Komplexität des menschlichen Verhaltens anerkannt und durch wissenschaftlich fundierte gesundheitspsychologische Ansätze ergänzt werden. Denn die Forschung und Praxis zeigt, dass sich das Gesundheitsverhalten nicht rein durch motivierende, informierende oder praktische Gesundheitsangebote ändern lässt.

Die Mitarbeiterstruktur in Unternehmen ist – wie auch das menschliche Verhalten - komplex und sehr vielfältig. Daher können hierfür nahezu identische Hintergründe herangezogen werden, wie auch bei klassischen Verhaltensänderungen im menschlichen Verhalten. Allein diese Tatsache legt nahe, dass BGM-Systeme, die auf eine zielgruppenspezifische Ansprache oder auf zielgruppenspezifische Maßnahmen verzichten, nicht maximal erfolgreich sein können. Bereits bei der Planung und Konzeption von Maßnahmen und Systemen sind die psychologischen Grundlagen von Motivation als auch die unterschiedlichen Wünsche, Bedürfnisse und auch Ängste von verschiedenen Zielgruppen zu beachten.

Der vorliegende Artikel bietet BGM-Verantwortlichen Tipps und Denkanstöße, um die Reichweite der Maßnahmen des BGM zu erhöhen.
 

Zielgruppenanalyse und -beteiligung

Um zielgruppenspezifische BGM-Lösungen zu entwickeln sind in einem ersten Schritt die Zielgruppen und deren Bedürfnisse klar voneinander zu differenzieren. Zielgruppen können beispielsweise anhand folgender Kriterien unterteilt werden:
    Alter (Auszubildende, Young-Professionals, Ü55)
    Unternehmensbereiche (Produktion, Verwaltung)
    Hierarchiestufen (Führungskräfte, Mitarbeiter)
    Gesundheitsverhalten (Raucher, körperlich Inaktive)
    Fehlzeitenstatistik (Unternehmensbereich mit besonders hohen Krankenständen)

Neben einer ersten Einteilung besteht die Möglichkeit, die Bedürfnisse der Zielgruppen durch schriftliche Mitarbeiterbefragungen oder auch durch moderierte Workshops strukturiert zu erheben. Denn Menschen sind immer dann besonders motiviert, wenn die angebotenen Maßnahmen mit den Interessen, Werten und dem eigenen Selbstbild übereinstimmen, was durch eine aktive Befragung gewährleistet werden kann.

Werden die Mitarbeiter zusätzlich an der Entwicklung und Konzeption der Maßnahmen beteiligt, wird das Gefühl der Kompetenz und Selbstwirksamkeit erhöht und damit zwei weitere wichtige Aspekte der Motivation angesprochen.
 

Motivationspsychologische Aspekte

Die Gründe, an BGM-Maßnahmen teilzunehmen, unterscheiden sich auch innerhalb abgegrenzter Zielgruppen, wie z. B. Mitarbeiter über 55 Jahre, mitunter stark. So kann die Aussicht, in einem Bewegungsworkshop gemeinsam mit anderen Kollegen aktiv zu sein, für die eine Person einen motivierenden Anreiz darstellen und für eine andere Person ein Unwohlsein und eine Abneigung erzeugen, da sie sich beispielsweise in Gruppen unwohl fühlt oder negative Emotionen mit Bewegung verbindet. Niedrige Teilnahmezahlen sollten daher nicht allein auf fehlendes Interesse zurückgeführt werden, da emotionale Bedürfnisse und insbesondere die bisherigen Erfahrungen mit dem Thema Gesundheit eine bedeutende Rolle spielen.

Aus motivationspsychologischer Sicht ist eine Intention - also die Absicht, etwas zu tun -, wie an einer BGM-Maßnahme teilzunehmen, immer von einem internen Abgleich und der Bewertung verschiedener Faktoren abhängig. 

Nach der klassischen Motivationstheorie (Rogers, 1975) entsteht die Motivation, das eigene Gesundheitsverhalten zu ändern aus einem Abgleich der individuellen Bedrohungseinschätzung und der Bewältigungseinschätzung. Die Bedrohungseinschätzung setzt sich dabei aus der Verwundbarkeit (z.B. für wie wahrscheinlich halte ich es, dass mein Bewegungsmangel zu Bluthochdruck führt) und dem Schweregrad (d.h. für wie gefährlich halte ich einen Bluthochdruck) zusammen. 

Die Bewältigungseinschätzung besteht hingegen aus den positiven Komponenten Handlungswirksamkeit (wenn ich mich mehr bewege, dann lebe ich länger) und Selbstwirksamkeit (ich glaube, dass ich mich mehr bewegen kann, auch wenn auf der Arbeit viel los ist), von denen die Handlungskosten (mich mehr zu bewegen kostet aber viel Überwindung) abgezogen werden.
Dazu konnten Studien zeigen, dass …
    … je mehr sich Personen als selbstwirksam einschätzen,
    … je mehr sie glauben, dass ihr Verhalten eine Wirkung hat,
    … je mehr sie die Gesundheitsgefahren als schwerwiegend wahrnehmen,

desto stärken bildet sich eine Intention - und vereinfacht ausgedrückt eine Motivation aus.

Für die Praxis bedeutet dies zunächst, dass die wahrgenommenen Handlungskosten oder auch die Hürden der Teilnahme möglichst niedrig ausfallen müssen. Dies kann durch folgende Tipps erreicht werden:
    aufsuchende Maßnahmen: Ein Experte kommt für eine individuelle Beratung, für aktive Pausen o.ä. direkt an den Arbeitsplatz
    Maßnahmen werden während der Arbeitszeit angeboten
    Digitale Unterstützungsangebote, die zu jeder Zeit verfügbar sind und sich dem Individuum anpassen
    Schaffung gesunder Verhältnisse, die keine bewusste Teilnahme erfordern

Da die genannten Komponenten Selbstwirksamkeit, Handlungswirksamkeit oder Ergebniserwartungen auch in weiteren Motivationsmodellen eine zentrale Rolle spielen, sollten sie ebenfalls Berücksichtigung finden. Dies lässt sich erreichen, indem bei der Kommunikation und Bewerbung der Angebote vielmehr das „Wofür“ und „Warum“ anstelle des „Was“ in den Vordergrund gestellt wird. Es muss auf emotionaler Ebene klar werden, welche positive Veränderungen durch eine Teilnahme erreicht werden und das eine Teilnahme mit positiven Kompetenzerfahrungen einhergeht. Hierbei können authentische Erfahrungsberichte und Kollegen, die als Multiplikatoren wirken, förderlich sein.
 

Gesunde Verhältnisse schaffen

Dadurch, dass Motivation ein komplexer, individueller Prozess ist, soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass auch bei optimaler Ansprache und Berücksichtigung von motivationspsychologischen Modellen nie alle Mitarbeiter an BGF-Maßnahmen teilnehmen werden.

Ein BGM-System sollte daher ganzheitlich ausgerichtet sein und insbesondere gesundheitsfördernde Verhältnisse und Systeme schaffen, die im Optimalfall sogar nicht direkt als Gesundheitsmaßnahmen wahrgenommen werden.

Ein gutes Beispiel stellt in diesem Kontext das Thema Führung dar. Durch Veränderungen von Führungssystemen hin zu „gesunder Führung“ können die Arbeitsverhältnisse für einen Großteil der Belegschaft positiv beeinflusst werden, ohne, dass Mitarbeiter aktiv daran teilnehmen müssen. Dabei kann die Wirkung insbesondere im Bereich Stressreduktion stark sein, da Veränderungen im Bereich der Führung unmittelbar wichtige Stressursachen, wie fehlende Wertschätzung, Überlastung, fehlender Entscheidungsspielraum etc. reduzieren können.

Verhältnispräventive Ansatzpunkte finden sich weiterhin auch in den folgenden Bereichen:

    Arbeitsorganisation (Schichtmodelle, flexible Arbeitszeiten, Home-Office, Kinderbetreuungsangebote)
    Arbeitsplatzgestaltung (Ergonomie, Erweiterung Aufgaben und Entscheidungsspielraum)
    Arbeitsumgebung (Gestaltung der Pausenräume, Ausrichtung der Kantine)
    Lebensphasenorientierte Personalpolitik (Lebensarbeitszeitkonten, Aus- und Weiterbildung, Personalentwicklung)

Je tiefer das BGM und somit das Thema Gesundheit dabei in die Unternehmensstruktur und -prozesse integriert ist, desto mehr Ansatzpunkte bestehen, um auch weniger gesundheitsaffine Personen für verhaltensorientierte BGF-Maßnahmen zu begeistern und Ängste sowie Bedenken abzubauen. 
 

Theoriebasiertes Vorgehen

Als BGM-Verantwortlicher muss das Rad in den seltensten Fällen neu erfunden werden. Gerade für zentrale Zielgruppen, wie Auszubildende oder ältere Mitarbeiter existieren bereits wirksame Best-Practice-Konzepte (Verlinkung zu Artikel über Azubis und Boarding-Gesundheit) und evaluierte Interventionsstudien, die genutzt und an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden können.

Wichtig ist dabei ein strukturiertes Vorgehen, welches die Interessen, Werte und Bedürfnisse hinsichtlich des Inhalts der Maßnahmen sowie der Ansprache berücksichtigt und motivationspsychologische Aspekte beachtet.
 

Zusammenfassung

Eine nennenswerte Reichweite von BGM-Maßnahmen zu erzielen ist eine zentrale Herausforderung und gleichzeitig essenziell, um einen wirkungsvollen Beitrag zur Gesundheit der Beschäftigten zu leisten. 

Um dies zu erreichen, müssen die Angebote noch viel stärker auf die verschiedenen Zielgruppen zugeschnitten und in der Ansprache ausgerichtet werden. Dabei hilft die Überzeugung, dass es keine schwierigen Zielgruppen, sondern nur weniger passgenaue Maßnahmen für einzelne Personengruppen gibt. 

Nutzen Sie daher vorhandene Best-Practice-Beispiele und suchen Sie die Unterstützung von Experten, die theoriebasierte Konzepte anbieten und motivationspsychologische Grundsätze beachten.
 

 

Literatur:

Rogers, R. W. (1975). A protection motivation theory of fear appeals and attitude change1. The journal of psychology, 91(1), 93-114.

Ternès, A., Klenke, B., Jerusel, M., & Schmidtbleicher, B. (2017). Integriertes Betriebliches Gesundheitsmanagement: Sensibilisierungs-, Kommunikations-und Motivationsstrategien. Springer-Verlag.

Faltermaier, T. (2017). Gesundheitspsychologie. Kohlhammer Verlag.
 

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