„Es gelingt nur gemeinsam“ in einer VUKA-Welt

15.04.2019 | Dr. Natalie Lotzmann

Quelle: Pexels.com

Die digitale Transformation erfasst Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft gleichermaßen und führt zu tiefgreifenden Veränderungen auf allen Ebenen der Gesellschaft. Der Begriff der VUKA-Welt hat sich bereits durchgesetzt: Unsere Welt ist zunehmend gekennzeichnet durch Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (Mehrdeutigkeit).

Diese hochdynamische, sich schnell und unübersichtlich verändernde Welt stellt, insbesondere auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und eines in manchen Branchen und Regionen bereits manifesten Fachkräftemangels, große Herausforderungen an jeden Einzelnen, an Betriebe und Kommunen, aber auch an Politik und Verwaltung. Es ergeben sich hohe Anforderungen an die Agilität der Akteure. Nur die Organisationen, die ein großes Engagement und die erforderlichen Kompetenzen ihrer Beschäftigten sicherstellen und abrufen können, die den Status quo infrage und alte Denkmuster verlassen können und sich dem Neuen mit der Bereitschaft zu neuen Antworten stellen, werden im VUKA-Umfeld nachhaltig erfolgreich sein. Dies gilt für Betriebe und Behörden gleichermaßen und ist mit hohen Anforderungen an Adaptionsfähigkeit, Kreativität, Flexibilität und beständige Lernbereitschaft verbunden.

Quelle: BKK Gesundheitsreport 2017

Der tägliche Umgang mit unbeherrschbarer Komplexität, Zielkonflikten, Vereinbarkeitsproblemen, Informationsflut aus einer Vielzahl digitaler Medien, interkulturellen Herausforderungen unter Entgrenzung von vermeintlich klaren Kategorien (zum Beispiel dem Verschwimmen von Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben, Konkurrenz und Kooperation oder zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmenden) implizieren zunehmende psychomentale Belastungen für die Beschäftigten. Dies gilt in besonderer Weise für ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die unter dem Druck stehen, mit den Digital Natives mitzuhalten, und für Menschen, die sich schwertun, sich von polaren Entweder-oder-Denkmustern, von klaren Hierarchien, standardisierten Verhaltensweisen und dem Wunsch nach Kontrolle zu verabschieden. Um die digitale Transformation wirtschaftlich und gesundheitlich erfolgreich zu gestalten, bedarf es also einer mitarbeiterorientierten Kultur des gegenseitigen Respekts, der Ermutigung und Förderung, der Kooperation und der Fehlertoleranz, um den Herausforderungen der VUKA-Welt zu begegnen, soziales und emotionales Wohlbefinden zu erhalten und das Potenzial des Einzelnen, der Gruppen, Teams und Abteilungen zum Vorteil aller einzubringen. Diese Kultur im Rahmen von Mitarbeiterbefragungen zu erfassen und gezielt zu steuern, ist die erforderliche Brücke zwischen einem modernen Personal- und Talentmanagement und innovativem Gesundheitsmanagement. Im gesunden Unternehmen wird der digitale Transformationsprozess deswegen zur Chefsache. Zum einen bedarf es der beschriebenen offenen und digitalisierungsfreudigen Unternehmenskultur. Zum anderen können Unternehmen aber auch konkrete Maßnahmen und Angebote anbieten, die direkte Auswirkungen auf die Gestaltung des Arbeitsplatzes haben.

Bei allen Unterschiedlichkeiten hinsichtlich Branche oder Betriebsgröße, mit einigen Kernthemen werden sich die meisten Unternehmen beschäftigen müssen:

Führungskultur gestalten

Wie viel Handlungsbedarf tatsächlich besteht hinsichtlich einer respektvollen, wertschätzenden Unternehmenskultur, die Ressourcen stärkt und im Umgang mit neuen Herausforderungen unterstützt, ist im Rahmen von regelmäßigen Mitarbeiterbefragungen zu ermitteln. Die Digitalisierung verlangt Engagement und Belastbarkeit von allen Mitarbeitenden. Damit alle mitgenommen werden, müssen die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erkannt und verstanden werden.

Quelle: BMAS: Monitor "Digitalisierung am Arbeitsplatz"

Zudem brauchen Führungskräfte Rückmeldung darüber, wie gut es ihnen gelingt, den Wandel zu gestalten und Mitarbeitende dabei zu unterstützen, mit den Belastungen der Digitalisierung umzugehen. Dass dies nicht zulasten von Gesundheit und Wohlbefinden geht, liegt auch im unternehmerischen Interesse, denn wir wissen: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich bei der Arbeit wohlfühlen, sind engagierter, kreativer und produktiver und halten das Unternehmen wettbewerbsfähig.

Veränderung und Stress managen

Arbeiten im digitalen Zeitalter der VUKA-Welt kann leicht überfordern. Unsicherheiten im Rahmen des ständigen Wandels, neue Technologien, ständige Erreichbarkeit und die Entgrenzung zwischen Arbeits- und Privatleben führen häufig zu Stress. Wir wissen heute, dass Führungskräfte, die sich um ihre eigene Gesundheit und Lebensbalance kümmern, auch gesündere und balanciertere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben. Erfolgreiche Führungskräfte machen keinen Bogen um das Thema, sondern bieten ein Forum zum Austausch über bereichstypische Stressoren und gefundene Lösungen und sind offen für Vorschläge gemeinsamer Maßnahmen.

Gesundheit fördern

Ein zielgerichtetes und an den tatsächlichen Bedarf angepasstes Gesundheitsmanagement stellt einerseits den Beschäftigten passende und unterstützende Angebote zur Aufrechterhaltung ihrer Gesundheit zur Verfügung und hilft andererseits dem Arbeitgeber, die betrieblichen Rahmenbedingungen für die Beschäftigten möglichst gesundheitsförderlich zu gestalten. Dreh- und Angelpunkt ist wiederum die regelmäßig durchgeführte Mitarbeiterbefragung, einschließlich der Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilungen. Sorgen Sie für einen klaren und transparenten Prozess, was mit den Ergebnissen der Befragungen passiert, welche gezielten Maßnahmen ergriffen werden und wie versucht wird, die Kultur und die Rahmenbedingungen zu verbessern. Mein Praxistipp für die Chefetage: Sorgen Sie dafür, dass sich mindestens eine Person gezielt um Vernetzung und Austausch aller externen und internen für Ihren Betrieb mit Gesundheit befassten Stellen kümmert (zum Beispiel Betriebsärztin oder -arzt, Personalabteilung, Arbeitssicherheit, Sozialberatung, Gesundheitszirkel, Krankenkassen, Rentenversicherung, Berufsgenossenschaft) und dass extern zur Verfügung stehende Handlungshilfen (INQA, psyGA, BAuA) genutzt werden. Zeigen Sie selbst Flagge und beziehen Sie Ihre Mitarbeitenden bzw. deren Vertreterinnen und Vertreter mit ein.

Flexibilität und Offenheit leben

Wir sind nie „fertig“. Die Digitalisierung ist ein Prozess und als solcher sollte sie auch im Unternehmen behandelt werden. Offenheit gegenüber neuen Technologien, fortlaufende Qualifikationsmaßnahmen und eine gelebte gesundheitsfördernde Unternehmenskultur mit starker Mitarbeiter- und Kundenorientierung sind unerlässlich. Schaffen Sie eine Plattform, auf der Mitarbeitende Erfahrungen austauschen und Ideen teilen können. Treten Sie in den Dialog ein. Leben Sie eine offene Grundhaltung vor.

Ruhe im Wandel – achtsam bleiben – jetzt und in Zukunft!

Bei allen Änderungen ist es wichtig, sich auf das zu besinnen, was sich nicht ändert: die Vision des Unternehmens (wer wir sind) und seiner Werte (wie wir miteinander und mit Kundinnen und Kunden umgehen). Entsprechend lohnt es sich, Arbeit in das eigene Leitbild zu stecken, das nach innen und außen kommuniziert werden kann. Dies ist ein wertvoller Prozess, bei dem die Mitarbeitenden einbezogen werden sollten. Dies stärkt Zugehörigkeit und Orientierung. Dabei ist es wichtig, die Kunst der gesunden Distanz zu üben, um der Versuchung des Aktionismus zu entgehen. Von Zeit zu Zeit innerlich zurückzutreten: Um was geht es gerade wirklich? Was ist unsere Vision? Was sind die abgeleiteten Ziele? Wie können wir mit den vorhandenen Ressourcen unser Ziel erreichen und dabei die Menschen mitnehmen? Die digitale Zukunft gestalten Führungskräfte und Beschäftigte am besten gemeinsam.

Über die Autorin

Dr. Natalie Lotzmann ist Fachärztin für Arbeitsmedizin und seit 1997 im Personalmanagement der SAP tätig. Seit 2012 verantwortet sie dort das globale Gesundheitsmanagement. In gesunde Arbeit zu investieren ist für sie nicht nur eine Frage sozialer Verantwortung, sondern auch ein wirtschaftliches Gebot.