"Montags aufstehn, als wär´s Absicht!" | Interview mit Ralph Goldschmidt

05.06.2020 | Zukunft Personal

Foto von Ralph Goldschmidt
Quelle: Ralph Goldschmidt

Zukunft Personal im Interview mit Ralph Goldschmidt, dem "Experten für Lebenskunst und nachhaltige Spitzenleistungen". Als Keynote Speaker der Zukunft Personal Nord hätte er uns mit neuen, lebhaften Impulsen seine Perspektive auf die neue Arbeitswelt gezeigt. Um seine Erfahrungen dennoch mit Ihnen teilen zu können, haben wir mit ihm gesprochen.

Herr Goldschmidt, wie erleben Sie die heutige VUKA-Welt?

In den vergangenen Corona-Monaten wurde uns so deutlich wie noch nie vor Augen geführt, was VUKA bedeutet, nämlich dass die Welt immer volatiler, ungewisser, komplexer und ambiger/mehrdeutiger wird. Quasi jeder war bzw. ist betroffen, privat und beruflich. „New Work“ versucht Antworten darauf zu geben, wie wir mit dieser VUKA-Welt möglichst gut umgehen können.

Sie sind Mitte 50. Warum beschäftigen Sie sich in Ihrem Alter so intensiv mit dem Thema New Work? Ist das nicht eher was für die Jüngeren?

Ganz einfach: Weil wir gerade einen tiefgreifenden kulturellen und wirtschaftlichen Wandel erleben. Die Arbeitswelt ändert sich aufgrund der Globalisierung, des demographischen Wandels, der Digitalisierung und der allumfassenden Vernetzung grundlegend. New Work ist ein Klammerbegriff. Im Kern geht es dabei um zukunftsweisende und sinnstiftende Arbeit, um eine neue Art, Leben und Arbeiten zu verbinden. Bei New Work handelt es sich nicht um ein Veränderungsprogramm oder einen Prozess, sondern um eine Frage der Haltung, und damit auch um eine Frage der Kultur und der Führung.

Seit 25 Jahren suche ich nach Antworten auf die Frage, wie der Dreiklang aus gutem Leben, menschendienlichem Arbeiten und enkeltauglichem Wirtschaften gelingen kann. Jetzt ist die Zeit reif für die Umsetzung.

Die Geschicke der Wirtschaft werden noch immer überwiegend von Männern meiner Generation, den Babyboomern gelenkt. Bei denen spielten die zentralen Werte von New Work - Selbstständigkeit, Handlungsfreiheit, Selbstverwirklichung und Teilhabe an der Gemeinschaft - lange Zeit keine Rolle.

Es ging nur um „höher, schneller, weiter“. Es zählte allein der wirtschaftliche Erfolg. 

Nun gilt es, beides zusammen zu bringen. Die Erfahrungen und Kompetenzen meiner Generation und die Ideen und Visionen dessen, was heute unter „New Work“ verstanden wird. Meine Kernzielgruppe sind die Unternehmer und Entscheider ab Mitte 40. Ihnen möchte ich mit meinen Impulsen Mut machen und weiterhelfen auf dem Weg in die Zukunft. Und bei denen docke ich aufgrund meiner Biographie – ich bin selbst Unternehmer und Volkswirt - und meinen eigenen New Work-Erfahrungen „als alter Sack“ anders an als z.B. mein 25jähriger Sohn, der in Startup-Szene unterwegs ist.

Sie sagten, die Zeit für die Umsetzung sei nun reif. Woran liegt das? 

In erster Linie am Leidensdruck. Der hat sich durch Corona für viele Unternehmen drastisch erhöht. Aber manche Unternehmenslenker denken immer noch: Lief die letzten 30 Jahre prima. Warum soll ich groß was ändern? Oder sie glauben insgeheim: Die fünf Jahre bis zur Rente krieg ich auch so noch rum. Aber die meisten Unternehmer und Entscheider -  auch die der Generation 50plus - wissen, dass es ihnen mit ihren bisherigen Organisationsstrukturen kaum möglich sein wird, zukunftsfähig, sprich innovativ und wettbewerbsfähig zu bleiben oder zu werden. Und ihnen ist bewusst, dass sie mit dem Fokus auf Profitmaximierung wohl kaum ihre Attraktivität als Arbeitgeber steigern, schon gar nicht für junge Talente. Sie spüren, dass die alten Rezepte, mit denen sie lange erfolgreich waren, immer mehr Anstrengung produzieren und gleichzeitig immer weniger wirksam sind. Und die neuen Rezepte sind vielfach noch nicht gefunden. Wenn es denn je welche geben wird.

Es gibt kaum noch feste Regeln, keine Gewissheiten und keine klar zu erkennenden Zusammenhänge mehr: Alles ist möglich – auch das Gegenteil. Und gleich darauf schon wieder etwas ganz anderes! Das Tempo und die Dynamik auf den Märkten ist enorm, die Produktlebensdauer wird immer kürzer, Geschäftsmodelle stehen auf dem Prüfstand, alles ist hochgradig vernetzt. Risiken sind für Entscheider immer weniger abschätzbar, ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten kaum zu berechnen. Ganz abgesehen von ungeahnten Wechselwirkungen, die auftreten können. VUKA eben. Mit all dem gilt es umzugehen. Am Umgang mit der Dynamik und Ungewissheit hapert es vor allem bei „gestandenen“ Unternehmen. Das klappt in den Startups deutlich besser. 

Also müssten doch die Älteren von den Jüngeren lernen wie´s geht? 

Es ist gar nichts falsch daran, sich von anderen inspirieren zu lassen. Und es gibt sehr gute Gründe für open-space-Büros. Es ist auch völlig okay, mit agilen Managementmethoden wie Scrum, Kanban oder Design Thinking und Organisationsformen wie Holokratie oder Soziokratie zu experimentieren. Aber was in Startups und Innovationsteams prima funktioniert, lässt sich nicht eins zu eins auf traditionelle Mittelständler oder Konzerne übertragen. Und wenn die alte Denke bleibt, nur eben garniert mit coolen Buzzwords, Kickertisch und frischem Obst, dann klappt das nicht.

In vielen Unternehmen rollen die Mitarbeiter mittlerweile nur noch genervt die Augen, wenn sie mal wieder hören, sie selbst, das ganze Team und überhaupt alles müsste „agil“werden. Ich find´s immer wieder spannend, welche Antworten ich bekomme, wenn ich nachfrage, was genau denn mit agil gemeint sei. 

Der Punkt ist: Es gibt kein Best Practice. Jedes Unternehmen hat seine ganz eigene Geschichte und Kultur.

Die ist bei google anders als in einem Startup. Und wiederum ganz anders bei einem Familienunternehmen mit 150jähriger Tradition. Da ist die Belegschaft komplett anders sozialisiert. Aber diese Tradition ist die Basis, die gilt es zu würdigen. hier aus gilt es den ganz eigenen Weg finden, und zwar mit den Mitarbeitern, nicht gegen sie.

Aus meiner Sicht besteht eine der ganz großen künftigen Herausforderungen darin, halbwegs souverän mit Unsicherheit umzugehen, als Chef wie als Mitarbeiter. Wir müssen uns von der Illusion lösen, die Zukunft so planen, steuern und kontrollieren zu können wie früher. Und zu wissen, wo das Unternehmen in 10 Jahren steht. Das geht nicht mehr. Es geht darum, den Mut für den ersten sinnvollen Schritt zu haben. Und dann für den nächsten. Das Motto heißt nicht mehr „Get ready!“, sondern „Get started!“
Es braucht also Mut und beherzte Mitarbeiter auf allen Ebenen – an erster Stelle im Topmanagement.  

Noch was praktisches zum Schluss: Welche Frage wurde Ihnen in den letzten Jahren von den „Chefs“ am häufigsten gestellt?

Das war ganz eindeutig diese: „Herr Goldschmidt, wie schaffen wir es, all die nötigen, teils unbequemen Veränderungen so an unsere Führungskräfte und Mitarbeiter heranzutragen, dass diese den (digitalen) Wandel aktiv gestalten, beherzt anpacken und sich gar dafür mitverantwortlich fühlen, statt darauf zu hoffen, dass „schon alles nicht so heiß gegessen wird, wie ́s gekocht wird?“ 

Und wie lautet Ihre Antwort darauf?

Dafür reicht der Platz hier nicht – darüber spreche ich dann ausführlicher in meinem Vortrag auf der Messe - aber ein Punkt, den ich für wesentlich halte und der in ganz vielen Veränderungs- und Transformationsprojekten viel zu kurz kommt, ist folgender: Darüber, was im Unternehmen verändert werden muss, um zukunftsfähig zu werden, ist man sich in den meisten Unternehmen im Klaren: Nach und nach sollen flexible Rollen die statischen Stellen ablösen, geteilte Führung soll individuelle Führung ersetzen und Selbstorganisation an die Stelle von Fremdorganisation treten. Kognitiv sind Führungskräfte und Mitarbeiter gut gerüstet. Doch es ist wie so oft. Dieses kognitive Wissen alleine reicht nicht aus, um entsprechend zu handeln. 

Wir brauchen ein „gefühltes JA!“. Echte Veränderungsbereitschaft. Und wie sieht´s damit aus? Ich habe mal den schönen Satz gehört: „Der einzige Mensch, der sich nach Veränderung sehnt, ist ein Baby in vollgeschissenen Windeln.“ Das wird im Kern bestätigt von einer Studie der TU München: Derzufolge treibt in großen Changeprojekten nur jeder fünfte Mitarbeiter die nötigen Veränderungen voran, jeder zweite dagegen gilt als Bremser. 

Anstehende Veränderungen lösen häufig Widerstände aus. Das ist das normalste der Welt. Meine Erfahrung ist übrigens: Wo kein Widerstand, da keine Veränderung. Dabei ist nicht der Widerstand an sich das Problem. Die Krux liegt darin, wie in Unternehmen mit eben diesen Widerständen und vor allem den dahinterstehenden Ängsten umgegangen wird. Die Hauptemotion hinter jedem Widerstand ist Angst. Wenn ich z.B. meinen Mitarbeitern mitteile, dass sie demnächst von Einzel- in ein Open Space Büro umziehen werden, dann ist die allererste Frage, die sich jeder von ihnen bewusst oder unbewusst stellt: Ist dieser Umzug in irgendeiner Form bedrohlich für mich? Kratzt das an meinem Status? Kann ich mich mit so vielen Leuten um mich herum überhaupt auf meine Arbeit konzentrieren? Wer kann mir da alles auf den Bildschirm gucken und mich kontrollieren? usw.

Wenn ein Mitarbeiter den Umzug für sich persönlich als Bedrohung erlebt, kann er die Chancen, die auch für ihn in diesem Umzug stecken, nicht wirklich sehen. Gegen die Biologie lässt sich nicht argumentieren. Angst ist subjektiv. Und es ist völlig irrelevant, ob sie „objektiv berechtigt“ ist oder nicht. Für den Mitarbeiter ist sie in diesem Moment absolut real. Was tun? Machen Sie den „Widerständlern“ Mut, ihre „Sorgen“ zu äußern, nehmen Sie diese Sorgen ernst und suchen Sie gemeinsam nach einer Möglichkeit, wie sie der Bedrohung ihren Schrecken nehmen können. Dafür sind eventuell viele Einzelgespräche nötig. Der Aufwand lohnt sich. Denn so bekommen Sie ein „gefühltes Ja“. Und dann, erst dann, ist der Weg frei für Neues. 

Und die allerletzte Frage: Woran erkennt man, ob in einem Unternehmen New Work gelebt wird?

Daran, dass die Mitarbeiter montags aufstehn, als wär´s Absicht.
 

Über Ralph Goldschmidt

Ralph Goldschmidt ist Experte für Lebenskunst und nachhaltige Spitzenleistung. Er hat Volkswirtschaft, International Management und Sportwissenschaften in Köln und Mailand studiert und ist Lehrbeauftragteran mehreren Universitäten, Hochschulen und Akademien.

Er gründete und leitete erfolgreich zwei Unternehmen und brachte als Executive-Coach und Trainer zahlreiche Top-Führungskräfte in ihrer beruflichen und persönlichen Entwicklung voran. In den Medien ist er gefragter Interviewpartner. Ralph Goldschmidt berührt, bewegt und begeistert in seinen Vorträgen jährlich 20.000 Menschen.