Startup Radar: Pioniergeist für die Etablierten
20.05.2020 | Heiner Sieger
Die Mehrheit der etablierten Unternehmen setzt auf die Zusammenarbeit mit Startups. Bloß: Wo finden Unternehmen die Gründer, die zu ihnen passen? Und vor allem: Wie finden beide zusammen, um die angestrebten Sprunginnovationen zu verwirklichen? Hilfe kommt von spezialisierten Netzwerken.
Digitalisierung und Plattformökonomie haben mit neuen Technologien und Geschäftsmodellen in der Industrie die Verhältnisse zwischen Platzhirschen und Newcomern dramatisch verschoben. Dieser Entwicklung kann sich kein etabliertes Unternehmen mehr entziehen.
„Immer mehr Firmen setzen auf die Zusammenarbeit mit Startups. Denn es spricht nur wenig dafür, dass eine bestehende Organisation es heute noch allein schafft, Sprunginnovationen hervorzurufen“, sagt Florian Nöll, Head of Digital Eco-Systems bei PwC Deutschland und zuvor von 2013 bis 2019 Vorsitzender des Bundesverbandes Deutsche Startups.
Was in den Konzernetagen der Automobilindustrie begann, wo die Zeichen durch E-Mobilität, Connectivity und autonomes Fahren schon länger auf Umbruch stehen, ist für den Mittelstand inzwischen ebenfalls angesagt. Mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen arbeiten bereits in irgendeiner Form mit Startups zusammen, so das Ergebnis einer Befragung von TU München und Hypovereinsbank zur digitalen Transformation unter 700 Führungskräften.
Die zentrale Frage dabei lautet:
Wie finden Unternehmen die zu ihrem Geschäftsmodell, ihrer Organisation, ihren Zielen und ihrer Kultur passenden Startups? Die simple Antwort lautet: In der Netzwerkwirtschaft natürlich über Netzwerke.
Als seit Jahren etabliert und führend in dem Bereich ist beispielsweise das Munich Network. „Wir unterstützen Unternehmen aus der Technologieindustrie unter anderem bei der Definition von Suchfeldern, Reifegradanforderungen und der Bestimmung der Kollaborationsmöglichkeiten für Startups. Anschließend identifizieren wir die spannendsten und innovativsten Startups weltweit und treten unmittelbar in Kontakt mit diesen und unterstützen sie bei der Registrierung für Netzwerk-Events“, erklärt Curt Winnen, Gründer und Geschäftsführer von Munich Network. Dem offenen Netzwerk gehören aktuell 2300 Industriemitglieder an. Zu mehr als 400 weltweit verteilten Startups-Hubs bestehen persönliche Kontakte.
Erfolgreich etabliert hat das Netzwerk seit Jahren einen „Corporate Radar“.
„Das ist ein geschlossener Datenraum im Internet mit strukturierten Informationen über Startups, die wir kennen und deren Innovationen wir prüfen. Diese stellen wir Mitgliedern und den jeweils Verantwortlichen für Innovation in der Industrie zur Verfügung“, erläutert Katharina Hickel, Director Innovation Scouting und Sourcing bei Munich Network. Das Netzwerk holt sich für die Projekte die Suchfelder von den Unternehmen, wie Reifegrad, Technologiebereich und regionale Reichweite. Innerhalb der Searchphase von etwa einem Vierteljahr kommt dann eine Kandidatenliste zusammen, die auf eine Shortlist mit Startups reduziert wird, die für ein erstes Zusammentreffen mit den Industrieprojekt-Partnern vorgesehen sind.
Startup trifft Mittelstand
Einen eigenen Weg hat das aufstrebende Startup-Ökosystems Neckar-Alb gefunden: Initiator Jürgen Schäfer, Geschäftsführer von CECEBA Bodywear und Götzburg Wäsche, hat mit weiteren Unternehmen der Region die Tech Startup School aufgebaut und zu einem industrieübergreifenden Programm weiterentwickelt. Gründungsaffine Studierende, Absolventen der Uni Tübingen und Professionals kommen in Veranstaltungen mit der Führungsebene aus der Industrie zusammen, um dann innovative Geschäftsmodelle zu erarbeiten. „Unternehmen treffen in ihrem geschäftlichen Alltag auf Herausforderungen aber auch Potenziale für zukunftsweisende Geschäftsfelder. Häufig fehlt jedoch die Manpower oder der nötige Abstand, um kreative Prozesse anzustoßen“, sagt Jürgen Schäfer. Genau hier setzt die Tech Startup School an. Interdisziplinäre Teams entwickeln Ideen aus dem Markt zu einem innovativen Startup.
Vorbilder sind Konzerne, die schon länger gezielt wie erfolgreich auf Startup-Corporate-Kollaboration setzen:
Siemens Technology to Business erschließt für den Konzern schon seit 1999 weltweit innovative Technologien und Geschäftsmodelle, Bosch und SAP engagieren sich als Investoren, BMW hat mit BMW Ventures eine eigene Gründer-Garage, BASF will mit seiner BASF New Business GmbH die Wachstumsfelder Zukunft identifizieren und Rhode & Schwarz sucht mit seinem Digital Media Innovation Forum innovative Lösungen für die nächste Generation von Audio und Video Processing.
Einen ersten Einstieg finden suchende Mittelständler über Veranstaltungen, wie sie etwa der Münchner Kreis organisiert. „Man muss sich als Unternehmer die Mühe machen, sich selber in solche Netzwerke hineinzubegeben, auch um ein Gespür für die Szene zu bekommen“, empfiehlt Wolrad Claudy, der 20 Jahre bei Nasdaq-Unternehmen tätig war und heute den Arbeitskreis Entrepreneurship und Wachstum im Münchner Kreis verantwortet. „Darauf aufbauend lässt sich dann ein erster Radar entwickeln: Man muss den Weg zu den Gründerzentren der Universitäten suchen, vor allem den TUs, und interessante Veranstaltungen der Universitäten nutzen, um Orientierung bei den technischen Entwicklungen zu entdecken. In vielen Städten gibt es auch spannende Inkubatoren, die viele Startups an einem Ort versammeln. Hilfreich sind aber auch Vermittlungsdienstleister von Beratungsfirmen über Finanzer bis zu Venture Capital-Firmen, die zielgerichtet junge Firmen scouten, sowie frühere CTOs von großen Unternehmen. Auch die findet man in der Regel über Netzwerkveranstaltungen.“
Zeitgleich sollten Unternehmer sich die Gretchenfrage stellen:
„Wie steht es um meine Startup-Fitness? Bin ich in der Lage mit einem jungen Technologieunternehmen zusammenzuarbeiten“, so PwC-Experte Florian Nöll. Er ist überzeugt: „Letztendlich lässt sich für jeden Mittelständler das richtige Set-up finden. Aber man kann das nicht halbherzig oder nebenher machen. Dazu gehört auch die langfristige Perspektive. Digitale Transformation muss Chefsache sein und beim CEO liegen, sonst kann das nicht funktionieren, auch wenn er nicht persönlich mit den Startups arbeitet.“
Umgekehrt müssen die Startups „Corporate-ready“ sein und sicherstellen, dass sie mit einem großen Unternehmen arbeiten können und dessen Anforderungen erfüllen.
Genau dieses „Matching“ hinzukriegen, ist nach der Erfahrung von Curt Winnen eine der größten Anforderungen. „Viele Unternehmen sind nicht mehr bereit, hohes technologisches Risiko aus der Startup-Kooperation mitzutragen. Die Gründer müssen schon beweisen können, dass ihre Lösung oder Technologie funktioniert anhand von Prototypen und oder Referenzkunden“.