Die Zukunftsvision einer Vier-Tage-Woche – TEIL 2

09.08.2019 | Steven van Tuijl

Eine Frau macht Yoga
Quelle: Pexels.com

Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ist seit vielen Jahren Diskussionsthema in Deutschland und der Wunsch bei Arbeitnehmern in ganz Europa nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance wächst. Vor dem Hintergrund, dass für zwei Drittel der Arbeitnehmer unbezahlte Überstunden die Regel sind und Arbeitnehmer durchschnittlich fast fünf Stunden pro Woche ohne Bezahlung arbeiten wird offensichtlich, dass diese Balance oft als unerreichbar abgetan wird. Lesen Sie hier den zweiten Teil des spannenden Interviews. (>> Teil 1)

 

— Fortsetzung —

 

2) Wie ist die aktuelle Lage in Deutschland bezüglich anfallender Überstunden und was ist die Ursache dafür?

Das Frühstück am Arbeitsplatz essen oder abends daheim nochmal E-Mails checken. Dass hierzulande für Viele der Arbeitsalltag nicht mehr dem gesetzlichen Acht-Stunden-Tag entspricht, zeigen aktuelle Zahlen: Laut des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) haben Arbeitnehmer allein in den ersten sechs Monaten 2019 mehr als eine Milliarde Überstunden angesammelt – und mehr als die Hälfte davon ohne Bezahlung.
Die Gründe für Überstunden sind zahlreich: Zu wenig Mitarbeitende; zu viele Meetings; langwierige Prozesse; ein lautes Arbeitsumfeld. In Spitzenzeiten mal länger zu arbeiten, das gehört oft dazu. Und dank moderner Technik sind Arbeitnehmer heute viel flexibler als früher, wenn es um Arbeitszeit und -ort geht. Aber wenn solche Situationen ungewollt zur Normalität werden, droht die Balance aus Arbeits- und Privatleben zu kippen. An der Ursache können auch neue Instrumente wie Arbeitszeitkonten und die gesetzliche Vorgabe, Mehrarbeit durch Zeit und nicht Geld auszugleichen, erstmal wenig ändern.

"Laut des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) haben Arbeitnehmer allein in den ersten sechs Monaten 2019 mehr als eine Milliarde Überstunden angesammelt – und mehr als die Hälfte davon ohne Bezahlung."

3) Welche Auswirkungen haben regelmäßige Überstunden auf die Leistung von Arbeitnehmern?

Obwohl Arbeitgeber wissen, wie wichtig Motivation und Gesundheit sind, scheitern viele auf der einfachsten Ebene: Beschäftigte fair zu entlohnen und die Arbeitszeit auf einem gesunden Maß zu halten. Dass bei Stress das Wohlbefinden, die Motivation und die Gesundheit leiden, ist nicht neu. Zehn Arbeitsstunden pro Tag steigert laut einer aktuellen Studie das Schlaganfall-Risiko um ein Drittel. Dabei ist es egal, ob Überstunden bezahlt oder unbezahlt sind.
Es ist ein besorgniserregender Trend, der dazu führen kann, dass Mitarbeiter mit Burn-Out kämpfen und öfter zum Arzt müssen. Das wiederum wirkt sich langfristig negativ auf Motivation, Produktivität und Leistung aus. Dabei wären Überstunden in dem Ausmaß eigentlich nicht nötig, im Gegenteil. Experimente zeigen, dass alternative Arbeitsmodelle dazu führen, dass Angestellte zufriedener, gesünder, und vor allem, leistungsfähiger werden.

4) Welche Möglichkeiten haben Arbeitgeber, um regelmäßigen Überstunden entgegenzuwirken?

Es ist die Aufgabe von Führungskräften, realistische Arbeitsbelastungen und Erwartungen festzulegen, während sichergestellt wird, dass die Mitarbeiter über die Ressourcen und die Unterstützung verfügen, die es ihnen ermöglichen, ihre Ziele innerhalb der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit zu erreichen. Es gibt Handlungsbedarf den Fokus von der Menge der Arbeitsstunden auf die Qualität zu verlagern. Dies geht zurück auf die Frage, wofür Mitarbeiter arbeiten. Außerdem sollte man darauf achten, wenn jemand pünktlich Feierabend macht, diesem Mitarbeiter nicht das Gefühl zu vermitteln, dass es ihm an Ehrgeiz mangelt. Der mentale Druck und ein solches Denken sind Gift für ein gesundes, produktives Arbeitsklima.

5) Welche Lösungen gibt es, wenn sich Überstunden nicht vermeiden lassen?

Wenn Überstunden wirklich notwendig sind, müssen die Arbeitgeber dafür sorgen, dass die zusätzlichen Stunden belohnt und anerkannt werden. Ein Muss ist auch die Option eines Freizeitausgleichs der geleisteten Überstunden. Führungskräfte müssen auch im Blick behalten, dass Mitarbeiter nicht mit Erkrankungen zu kämpfen haben. Das Wegfallen von Arbeitnehmern durch Überbelastung kommt Unternehmen teurer zu stehen, als für die anfallende Arbeit den Personalstand aufzustocken und so die Arbeitsbelastung besser zu verteilen.
Aber auch, wenn ein neues Arbeitszeitmodell vielleicht nicht in jeder Branche gleich gut funktioniert: Arbeit sollte in acht Stunden regulärer Arbeitszeit erledigt werden können. Fallen dauerhaft Überstunden an, stimmen Prozesse und Strukturen nicht. Und das schadet langfristig nicht nur den Angestellten, sondern auch dem Unternehmen.

"Dass bei Stress das Wohlbefinden, die Motivation und die Gesundheit leiden, ist nicht neu. Zehn Arbeitsstunden pro Tag steigert laut einer aktuellen Studie das Schlaganfall-Risiko um ein Drittel."

6) Ein neuer Trend ist das Modell der Vier-Tage-Woche: Was sind die Anreize für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber, diese Methode umzusetzen?

Für Produktivität, Work-Life-Balance und Arbeitsplatzvielfalt könnte eine kürzere Woche in vielen Bereichen die Lösung sein. Studien haben gezeigt, dass Mitarbeiter oft genauso viel erreichen und eine bessere Work-Life-Balance erzielen können. Dies ist eine Win-Win-Situation für alle. Dieser Ansatz hilft bei der Gestaltung eines Arbeitsplatzes, der für Menschen besser geeignet ist und zu den widersprüchlichen Verantwortlichkeiten in ihrem Leben passt. Eine viertägige Woche kann einen großen Beitrag zur Schaffung einer besseren Arbeitswelt leisten, in der jeder beruflich und persönlich sein volles Potenzial entfalten kann. Es gibt auch Anzeichen dafür, dass eine viertägige Woche dazu beiträgt, die Gendervielfalt am Arbeitsplatz zu verbessern, indem familiäre Verpflichtungen leichter zu bewältigen sind und so mehr Frauen die beruflichen Möglichkeiten voll ausschöpfen können. Letztendlich ist es ein Gewinn für das Wohlbefinden und das Engagement der Mitarbeiter – zwei zunehmend wichtige Faktoren für den Erfolg moderner Unternehmen.

7) Wer setzt diesen Trend bereits erfolgreich um? Welche Erfahrungen gibt es und wie wird das Modell angenommen?

Es gibt bereits einige Unternehmen, die alternative Arbeitsmodelle, darunter auch die Vier-Tage-Woche, umsetzen (Beispiel: Merkur.de). Die meisten Erfahrungen sind dabei sehr positiv, weil die Modelle an die Bedürfnisse der Branche und der Mitarbeiter angepasst sind und die Kommunikation stimmt. So bieten manche Firmen verschiedene Modelle wie flexible Arbeitszeiten oder Homeoffice parallel an, andere lassen die ganze Belegschaft in den Sommermonaten kurze Wochen arbeiten. Es gibt natürlich durchaus Beispiele, die an der Vier-Tage-Woche scheitern. Das Modell ist nicht für jeden Manager und jedes Unternehmen geeignet, da hier auch die Art der Arbeit und die Teamdynamik eine wichtige Rolle spielen (Beispiel: Treehouse).
ADP beispielsweise bietet den Mitarbeitern maximale Flexibilität in allen möglichen Bereichen. Dabei geht es nicht nur um den zeitlichen oder den technischen Aspekt (z.B. durch Gleitzeit und Homeoffice). Wir bieten außerdem auch Modelle für Teilzeitbeschäftigte an, und einige von ihnen leben bereits die Vier-Tage-Woche.

"Eine viertägige Woche kann einen großen Beitrag zur Schaffung einer besseren Arbeitswelt leisten, in der jeder beruflich und persönlich sein volles Potenzial entfalten kann"

8) Kann dieses Konzept auch in Deutschland umgesetzt werden? Für welche Arbeitnehmergruppe und Branchen wäre das Konzept am reizvollsten? Was sind die Voraussetzungen?

Meines Erachtens gibt es keinen Grund, warum die Vier-Tage-Woche oder andere flexible Arbeitszeitmodelle nicht generell in Deutschland umsetzbar sein sollten. Zu überwinden gibt es unterschiedliche Hürden, seien es Vorurteile in den Köpfen der Arbeitgeber und Traditionen oder der administrative Initialaufwand. Und es wird auch immer Branchen geben, in denen es nicht möglich sein wird, solche Modelle umzusetzen, da diese beispielsweise saisonal bedingt arbeiten. Eine der meist diskutierten Hürden dürfte sein, dass viele Unternehmen fürchten bei einer Vier-Tage-Woche zusätzliches Personal einstellen zu müssen. Auf Arbeitnehmerseite müssen diese möglicherweise aufpassen bei ihren Rentenansprüchen, da diese geringer ausfallen könnten als bei einer Fünf-Tage-Woche. Hier ist die Politik gefragt, moderne Ansätze zu fördern und neue Arbeitsmodelle zu ermöglichen. Eine Lösung einige Hürden auf Unternehmensseite zu überwinden sehen wir bei ADP darin, Systeme und Prozesse zu optimieren, administrative Aufwände zu reduzieren, indem Workflows und Mitarbeiter Self Services verbessert werden, und so den Fokus auf die Bedürfnisse des Menschen auszurichten.

9) Was ist ihr Fazit?

Vier-Tage-Woche? Warum nicht! Ich sehe dies als Chance und als erste richtige Veränderung seit der industriellen Revolution in punkto Arbeitszeitmodelle. Unsere aktuellen Arbeitsgeneration könnte so die nächste Revolution starten. Dabei ist der zusätzliche freie Tag nicht nur eine Chance für den individuellen Menschen, sondern auch für die Gesellschaft. Wir könnten die Welt durch unser soziales, politisches oder ehrenamtliches Engagement an unseren freien Tagen besser machen.

Über den Autoren

Foto von Steven van Tuijl

Steven Van Tuijl, General Manager der ADP Deutschland. In dieser Funktion ist er für das operative Geschäft in Deutschland verantwortlich. Steven kam 2011 zur ADP als Director Customer Services in der Schweiz. Danach war er verantwortlich für Implementierung, Customer Services und Business Development für die Region 2SP (Spanien, Portugal, Polen und die Schweiz).