Sylvia Käsler: "Was oft als Veränderung benannt wird, ist die Fähigkeit positive Gefühle, Ressourcen und Stärken bewusster zu erleben
29.06.2023 | Zukunft Personal
Bei Sylvia Käsler, Siemens AG, dreht sich alles um Positive Leadership. Warum damit enorme Effekte auf den Unternehmenserfolg erzielt werden können und was sie ganz persönlich motiviert, haben wir Sylvia in unserem Interview gefragt. Auch in unserem neuen Innovative People Lab auf der ZPE in Köln spielt Positive Leadership eine große Rolle. Sylvia wird euch in Workshops persönlich mitnehmen in die Welt von Potenzialentfaltung und ihrer Wirkung auf Innovation.
Text und Interview: Regina Feiner und Frank Alexander
Sylvia, du bist Systemischer und Positive Psychologie Coach und unterstützt Siemens, Digital Industries, Factory Automation in der agilen Transition. Dein Spezialgebiet: Positive Leadership. Was steckt dahinter?
Aufbauend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und Studien der Positiven Psychologie bietet Positive Leadership Wissen und Ansätze, wie Potenzialentfaltung und Motivation im Business gelingen können. Besonders in einem immer komplexer werdenden Umfeld ist es wichtig ist, das persönliche "best possible self" in die Arbeit einzubringen und gleichzeitig performant zu arbeiten. Im täglichen Coaching von Führungskräften und Teams höre ich oft die Frage, was Führungskräfte, Leader und Mitarbeitende tun können, damit sie tatsächlich über sich hinauswachsen und dabei Freude, Wohlbefinden oder gar Sinnerfüllung empfinden. Gern unterstütze ich meine Coachees dann zum Beispiel in der Erarbeitung ihres ganz individuellen ressourcen- und stärkenorientierter Führungsstils – und zwar in der Selbstführung und der Führung von Mitarbeitenden. Dabei begegnet mir oft der Mythos, dass Positive Leadership und Positives Denken identisch sind oder alle immer glücklich sein sollen. Dem ist nicht so. Positives Denken ist wissenschaftlich nicht belegt, kann jedoch funktionieren, wenn ich daran glaube. Positive Leadership hingegen basiert auf wissenschaftlich belegten Studien. Es geht nicht darum, negative Gefühle auszublenden – ganz im Gegenteil.
Warum braucht es Positive Leadership für innovative Unternehmen?
Im Grunde geht es um das gelingende Leben – beruflich und privat. Neben dem Effekt, dass das eigene Wohlbefinden und Glückserleben steigen, wachsen ebenso die persönlichen Ressourcen und der Einsatz der eigenen Stärken nimmt zu. Können Mitarbeitende ihr Potenzial entfalten, spiegelt sich das in höherer Flexibilität und Innovationskraft wider.
Persönlich als Mensch unterstützt eine positive Haltung beispielsweise dabei, positive Emotionen bewusster wahrzunehmen und zu erleben, um diese langfristig als eigene Ressourcen aufzubauen. Damit wird eine Aufwärtsspirale in Gang gesetzt, denn eine Vielzahl von Ressourcen führt wiederum zu positiven Emotionen. In der Wissenschaft ist der Effekt auch unter der „Broaden-and-Build Theory of Positive Emotions“ von Prof. Dr. Barbara Fred Fredrickson bekannt.
Weiter ermöglicht das Erkennen, Erkunden und Anwenden eigener Charakterstärken dem Individuum, authentisch zu sein, Energie zu spüren und damit beste Leistungen zu erbringen. Dr. Ryan Niemiec hat dies unter anderem über das Aware-Explore-Apply-Modell untersucht.
Führungskräfte, Mitarbeitende und das Unternehmen werden durch Positive Leadership gestärkt, wodurch Raum für Innovation entsteht. So wird bei Mitarbeitenden und Führungskräften intrinsische Motivation, höheres Engagement und nachhaltigere Leistungsfähigkeit gefördert. Im Hinblick auf Führung drückt sich das in einem besseren Teamklima, schnelleren Problemlösungen und höherer Performance aus. Auf Unternehmensebene zeigt sich dies in sinkender Fluktuation, höherer Innovationsfähigkeit und Agilität sowie wirtschaftlichem Erfolg. Wissenschaftlich belegte Aufbereitungen sind dazu bei Dr. Daniela Blickhahn zu finden.
In meiner Organisationseinheit Learning Organization bei Siemens geht es um das Begleiten der Menschen in einer lernenden, adaptiven Organisation. Dabei ist es besonders im Hinblick auf die agile Transition und den Umgang mit Wandel und Change interessant, einen Rahmen für Potenzialentfaltung zu schaffen – denn durch die Zunahme der Komplexität nehmen die Unsicherheiten Einzelner und der gesamten Organisation zu. Daher gilt es, die Reise gemeinsam zu gestalten.
Die Führungskraft trägt dazu bei, den Rahmen zu schaffen, um positive Emotionen zu ermöglichen, individuelles Engagement zu fördern, tragfähige Beziehungen zu schaffen, den Sinn in der Arbeit zu vermitteln und Erreichtes sichtbar zu machen. Wer sich hier tiefer informieren möchte, dem kann ich das PERMA-Lead®-Modell von Dr. Markus Ebner, MSc. empfehlen.
Du coachst Führungskräfte und Teams. Wie wird aus einem guten Vorsatz, Positive Leadership?
Genau mit dieser Frage haben wir uns beschäftigt. Um mehr über die Möglichkeiten der Potenzialentfaltung durch Positive Leadership zu lernen, haben wir dazu bei Siemens mehrere Experimente durchgeführt. Zusammen mit meinen Siemens Kolleg:innen Peter Wenkheimer und Marlene Stratmann entwickelten wir das Format “Positive LeadershiPEERs”. “Positive Leadership“ vereint dabei die Erkenntnisse wissenschaftlicher Studien zur Positiven Psychologie, und „PEERs“ steht für die Idee der gegenseitigen Zusammenarbeit auf Augenhöhe, mit viel Raum für Reflektion. Positive Leadership heißt in dem Format an erster Stelle erst einmal Self-Leadership. Wenn ich mich kenne und meine Ressourcen aktivieren und Stärken bewusst einsetzen kann, dann kann ich meine Strahlkraft durch Authentizität und Vorbildwirkung auf andere übertragen. Methodisch haben wir uns am PERMA-Modell von Prof. Dr. Martin Seligmann angelehnt. Um selbst aufzublühen und andere beim Aufblühen zu begleiten, wird der Fokus in den einzelnen Modulen auf je einen Buchstaben von PERMA gelegt: P- Positive Emotionen, E - Engagement, R - Positive Relationships, M – Meaning, A – Accomplishment. Zusätzlich betrachten wir den Business-Ansatz. Wie kann ich die Erkenntnisse im Daily Business bei Siemens mit den Teams und den einzelnen Mitarbeitenden anwenden? Die Übungen können die Teilnehmenden ohne großen Aufwand selbst mit ihren Teams durchführen oder uns als Unterstützung für einen Workshop einladen.
Was ändert sich durch Positive Leadership bei den Teilnehmenden?
Das ist individuell. Spannend ist, dass ausnahmslos jeder der bisherigen Teilnehmenden über sich selbst sagt, sich weiterentwickelt zu haben. Was oft als Veränderung benannt wird, ist die Fähigkeit positive Gefühle, Ressourcen und Stärken bewusster zu erleben. Und diese als Kraftquellen in herausfordernden Situationen nutzen zu können. Individuell hat sich bei den Teilnehmenden das Wohlbefinden gesteigert, Beziehungen verbessert und merklich höhere Leistungen eingestellt. Unter den Peers entwickelte sich wachsendes Vertrauen, zunehmendes Zugehörigkeitsgefühl und verstärkte Zusammenarbeit. Innerhalb der Siemens Organisation reagierte auch das berufliche Umfeld der Teilnehmenden positiv auf den geänderten Führungsstil und die Vorbildfunktion. Die Teilnehmenden erzeugten in ihren Abteilungen einen Schneeballeffekt. Damit gehen konkret für Siemens als Arbeitgeber höhere Motivation, Engagement und Leistungsfähigkeit einher.
Warum hast du dich persönlich auf dieses Gebiet spezialisiert?
Wissenschaftliche Studien und unsere eigenen Experimentergebnisse zeigen, welchen Hebel Positive Leadership im Unternehmenskontext bietet – für Mitarbeitende, Führungskräfte, Unternehmen und natürlich die HR. Meiner Meinung nach braucht es neben den oft rational gesteuerten Performancethemen in Unternehmen den bewussten Blick auf die Menschen. Mit deren Individualität, eigenen Ressourcen und einzigartigen Stärken, um resilient auf die zunehmenden Veränderungen reagieren und unsere Zukunft innovativ gestalten können. Dafür ist die Haltung hinter Positive Leadership und die Implementierung der Methoden in den Arbeitsalltag ein empfehlenswerter und vielversprechender Ansatz, den ich mit Freude in die Unternehmenswelt trage.