Rainer Petek: Schnell scheitern – schnell lernen

06.03.2019 | Linda Dommes

Foto von Rainer Petek
Quelle: Rainer Petek

Rainer Petek ist Autor, Speaker und Extrembergsteiger. Bereits als 19-Jähriger durchstieg er die Nordwand der Grandes Jorasses, eine der schwierigsten Wände der Alpen. Dabei war das gar nicht sein Plan: Petek hatte sich leichtere Kletterrouten vorgenommen. Doch dann waren die Wetterverhältnisse für ein kurzes Zeitfenster so unschlagbar gut, dass er und sein Kletterpartner gar nicht anders konnten, als die Chance zu ergreifen. Mit diesem Mut, Neues zu wagen, begleitete der Profibergführer viele Menschen über mehr als ein Jahrzehnt durch zahlreiche Extremrouten in den Ost- und Westalpen. Seine Erfahrungen am Berg gibt der Unternehmer und studierte Organisationsentwickler Rainer Petek in Vorträgen und Workshops an sein Publikum weiter. Denn wie jeder Bergsteiger stehen auch Unternehmen, besonders angesichts von Globalisierung und Digitalisierung, immer häufiger vor Herausforderungen und dem Ungewissen.

Am 9. April hält er um  11:30 Uhr eine Keynote zum Thema „Das Nordwand-Prinzip – wie Sie das Ungewisse managen“ auf der Zukunft Personal Süd in Stuttgart. Im Interview gibt er einen Ausblick auf seinen Vortrag.

 

Herr Petek, Sie haben bereits zahlreiche Berge erklommen. Was macht für Sie den Reiz daran aus, sich kontinuierlich einem neuen Berg bzw. dem Ungewissen, zu stellen?

Als junger Kletterer lag die besondere Faszination darin, sich selber wachsen zu spüren, während man gemeinsam mit anderen eine Herausforderung bewältigt. Heute ist der Antrieb eher Verbundenheit mit der Natur und vor allem bei den vielen Vortragsreisen und Beratungsterminen sich zwischendurch zu erden.

 

Was sind die größten Herausforderungen beim Klettern und was lässt sich daraus auf das Teammanagement bzw. die Unternehmensführung übertragen?

Bei einem Marathon beispielsweise, kann ich ja die Laufstrecke vorher abgehen oder gar abfahren und im Rennen kann ich auch jederzeit aufhören, wenn ich nicht mehr mag. Beim Klettern in einer alpinen Felswand kann ich vorher eben nicht nachschauen, da ist jede Bewegung ein Schritt ins Ungewisse und es kann ab einem gewissen Punkt durchaus sein, dass ich nicht mehr so ohne weiteres zurückgehen kann. Das sind exakt die Rahmenbedingungen, in welchen Unternehmen und Führungskräfte heute operieren müssen: Handeln unter Ungewissheit, also mit unvollständigen Informationen. Erfolg erfordert heute von jedem Unternehmen ständig Schritte ins Unbekannte zu machen. Der Weg in die Zukunft ist kein Wettrennen mit bekannten, stabilen Regeln, sondern eine Expedition ins Ungewisse.

 

Ob als Bergsteiger oder als HR Manager – kann man sich auf das Ungewisse vorbereiten und wenn ja, wie?

Eine der besten Vorbereitungen ist es, von der Vorstellung Abschied zu nehmen, dass sich die Zukunft mit Plänen oder Rezepten unter Kontrolle bringen ließe. Generell sind alle starren Konzepte, Vorgehensweisen und Ansätze unter Ungewissheit und dynamischen Umweltbedingungen problematisch. Das Wichtigste ist, zu erkennen, dass die Sicherheit, die von diesen Konzepten auszugehen scheint, nur eine vermeintliche ist. Es geht heute darum Sicherheit im Umgang mit der Unsicherheit zu entwickeln.

 

Wie können Führungskräfte ihre Mitarbeiter auf Veränderungen vorbereiten und sie im Change-Prozess positiv mitnehmen?

Das Wort mitnehmen gefällt mir in diesem Zusammenhang nur begrenzt, da dahinter sehr oft eine Haltung steht: Wir Führungskräfte, die Wissenden, müssen darauf achten, dass die Mitarbeiter, die Unwissenden, in der von uns angedachten oder entschiedenen Veränderung mitkommen. Mit dieser Haltung sind Probleme meist vorprogrammiert. Intelligenter erscheint es mir, die Mitarbeiter, der jeweiligen Situation angemessen, in die Gestaltung der Veränderung miteinzubeziehen.

 

Sowohl Führungskräfte als auch Bergsteiger brauchen Weitsicht und Risikobereitschaft. Wo verläuft aus Ihrer Sicht die Grenze zwischen Mut und Leichtsinn?

Man sollte generell ein Gefühl dafür entwickeln, bis wohin man zu weit gehen kann bzw. darf. Beides, eine außergewöhnliche Route am Berg und ein Innovationsvorhaben im Unternehmen, ist ohne die Inkaufnahme der Möglichkeit des Scheiterns nicht zu haben. Wichtig ist es, dieses Risiko einerseits anzuerkennen und gleichzeitig nicht blind und unkontrolliert einzugehen. Die Orientierung am jeweils leistbaren Verlust ist dabei ein hilfreiches Grundprinzip: bis zu welchem Ausmaß bin ich bereit UND kann es mir leisten, ein Scheitern in Kauf zu nehmen? Das führt dann automatisch zur professionellen Risikobegrenzung durch ein iteratives Vorgehen mit sehr frühen Feedbackschleifen mit Markt, Kunden bzw. Anwendern. Fail early (and cheap) to learn quickly!

 

Was können speziell HR Manager aus Ihren Erfahrungen lernen?

Eine meiner Erfahrungen aus dem Bergsteigen und aus zwanzig Jahren Begleitung von Unternehmen und Führungskräften ist, dass einerseits unendlich viel Potenzial in allen Menschen steckt. Andererseits habe ich auch gelernt, dass man nicht mit Allen alles machen kann. Unternehmen brauchen die richtigen Führungskräfte an den richtigen Stellen. Die heute oft gehörte Forderung nach Ambidexterität bzw. Beidhändigkeit des Managements, was ja nichts anderes bedeutet, als die Fähigkeit sowohl das bestehende Geschäft erfolgreich zu führen, als auch ständig mit Innovationen geschäftliches Neuland zu erschließen, sollte meines Erachtens eher organisational, denn personal gedacht werden. Nur ein Teil der Führungskräfte ist dazu in der Lage, beides erfolgreich zu tun. Um organisationale Ambidexterität zu entwickeln, brauchen Unternehmen unterschiedliche Arten von Führung: Menschen, die das bestehende Geschäft erfolgreich führen; Menschen, die Innovationen vorantreiben und neue Marktchancen explorieren; und Menschen, die beides können und damit auch die notwendige Verbindung zwischen den beiden Vorgenannten herstellen können. Und bitte nicht vergessen, für diese Menschen auch die notwendigen organisationalen Rahmenbedingungen zu schaffen.