Sandra Bierod-Bähre: Vom Controller zum Business Moderator – neue Rolle für Führungskräfte

17.04.2019 | Linda Dommes

Quelle: Sandra Bierod-Bähre

Agile Arbeitsmethoden gestalten den Unternehmensalltag um. Arbeitnehmer erwarten mehrheitlich eine stärkere Selbstorganisation. Starre Unternehmens- und Arbeitsorganisationen werden zunehmend aufgebrochen. Unternehmen sind in einem umfangreichen Change ihrer Arbeitsprozesse, in den der Betriebsrat eingebunden werden muss, um erfolgreich zu sein und die Akzeptanz der Mitarbeiter nicht zu gefährden. Ein gemeinsamer Blick der Betriebspartner lohnt sich, wie die Mitbestimmung im Betrieb gestaltet werden kann, um Chancen agiler Arbeit und der digitalen Transformation zu nutzen und zu verhindern, dass betriebliche Mitbestimmung zukünftig als anachronistischer Störfaktor wahrgenommen wird oder Betriebsräte sogar versuchen, agile Arbeitsformen zu blockieren.

Im Interview gibt Sandra Bierod-Bähre einen Ausblick auf ihre Keynote auf der Zukunft Personal Nord und erläutert, wie agile Arbeitsmethoden implementiert werden können.

 

1. Frau Bierod-Bähre, Sie sagen, dass Arbeitnehmer vor dem Hintergrund von agilen Arbeitsmethoden mehrheitlich eine stärkere Selbstorganisation erwarten. Trifft das wirklich auf alle Arbeitgeber zu bzw. sind alle Arbeitgeber offen für mehr Agilität im Arbeitsalltag?

Ich erlebe große Unterschiede, insbesondere bei den Führungskräften. Nicht jedes Unternehmen setzt bereits agile Arbeitsmethoden ein. Der Arbeitsalltag ändert sich allerdings in vielen Unternehmen aktuell so grundlegend wie seit langer Zeit nicht mehr.

Die Digitalisierung ermöglicht es immer mehr Mitarbeiter mobil zu arbeiten. Virtuelle Teams arbeiten global verteilt in volatiler Zusammensetzung, wodurch sich Führung, soweit sie bisher noch auf Präsenz und der Zuordnung der Leistung zu einzelnen Mitarbeitern basierte, elementar wandelt. Nicht mehr Prozess- sondern Innovationssicherheit ist erfolgsentscheidend. Die Geschwindigkeit, mit der Unternehmen sich auf veränderte Kundenerwartungen einstellen müssen, ist von hierarchisch geführten Strukturen kaum mehr zu leisten. Und dennoch besteht teilweise Scheu, den Weg zu agilem Arbeiten und einer stärkeren Selbstorganisation der Mitarbeiter zu gehen.

Ich diskutiere intensiv in den Unternehmen die Beobachtung, dass Mitarbeiter von Start-ups mit unerschütterlicher Loyalität und Begeisterung das gemeinsame Ziel erstreben, das Unternehmen jeden Tag erfolgreicher zu machen. Mit wachsendem Erfolg, Vergrößerung des Teams, immer besseren Strukturen und Prozessen weicht diese positive Einstellung nicht selten einer zunehmenden Unzufriedenheit. Die eigenen Erwartungen an das Unternehmen werden nicht erfüllt. Es müsste sich mehr, schneller, individueller etc. um die Mitarbeiter kümmern. Warum ändert sich die Bewertung und damit nicht selten das Engagement, wenn sich ein Unternehmen vermeintlich immer professioneller aufstellt?

Ein auffallend häufiges Ergebnis der Diskussion ist, dass Mitarbeiter je weniger sie selbst gestalten können, umso unversöhnlicher sind, wenn ihre Erwartungen eines perfekten Unternehmens nicht erfüllt werden. Stärkere Selbstorganisation führt, wenn Unternehmen es ernsthaft umsetzen, zu höherer Mitarbeiterzufriedenheit. Diese Erkenntnis ist für einige Unternehmen der Anstoß zum Umdenken – losgelöst davon, ob sie ursprünglich planten agile Arbeitsmethoden einzuführen.

 

2. Wie stellen Unternehmen sicher, dass alle Arbeitnehmer von der agilen Transformation profitieren?

Das ist ein hehres Ziel und eine fortlaufende Aufgabe. Ich möchte hier exemplarisch zwei Themen ins Bewusstsein rücken.

Die agile Transformation bedeutet, einen stetigen Wandel im Unternehmen zu gestalten. D.h. ein andauerndes Change Management ist notwendig, in dem das Bisherige honoriert wird, Ängste abgebaut werden und die Mitarbeiter für die Veränderungen befähigt werden. Die Annahme, dass dieser Wandel einen festen Zielzustand hätte, ist falsch. Wenn sie manchmal lesen, das Unternehmen stolz verkünden, bereits X Prozent der agilen Transformation abgeschlossen zu haben, erkennen sie, dass diese Unternehmen Agilität und Digitalisierung nicht verstanden haben. Es gibt kein starres Soll, das nur noch umgesetzt werden muss. Es sei denn, man verwechselt Agilität damit, Whiteboards in die Büros zu hängen und Digitalisierung damit, Informationen elektronisch zu bearbeiten.

Agile Transformation ist ein Kulturwandel, der es Unternehmen ermöglicht, sich schnell erfolgreich auf neue Situationen einzustellen. Das fordert und überfordert ohne entsprechende Begleitung möglicherweise Mitarbeiter und Führungskräfte. Unternehmen sind gut beraten, viel Zeit, Kompetenz und entsprechend Budget in diese Begleitung zu investieren.

Die Leistung von Teams wird zukünftig im Vordergrund stehen und nicht der Erfolg von Führungskräften. „Wissenssilos“ als Machtberechtigung von Führungskräften fallen weg. Führung ändert sich elementar. Deshalb ist es wichtig, die neue Rolle intensiv mit den Führungskräften zu erarbeiten und sie hierzu zu befähigen.

Für Mitarbeiter, die bisher in enger Einbindung in operative Abläufe, mit Vorgaben und Kontrolle geführt haben, ist es ein großer Schritt, sich als Orientierung gebender und begeisternder Business Moderator im Unternehmen einzubringen. Hat das Unternehmen bisher erwartet, dass eine Führungskraft in allen Details eingebunden war, alle Entscheidungen selbst traf und die Mitarbeiter nur als Umsetzer einsetzte, benötigt es wahrscheinlich viel Geduld und Zeit, bis derjenige authentisch Ideen eines Teams fließen lassen kann und einen vertrauensvollen Austausch moderiert, in dem Fehler angstfrei zum Wohl der Organisation ausgesprochen werden.

 

3. In Ihrem Vortrag auf der Zukunft Personal Nord sprechen Sie über „agile Mitbestimmung“. Wie binden Sie Mitarbeiter konkret bei Entscheidungen ein?

In welchen Themen und in welchem Umfang Mitarbeiter beteiligt werden, ist von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich. Für den Erfolg der Beteiligung sind neben engagierten Mitarbeiter die Führungskräfte entscheidend.

Agile Arbeitsmethoden, z.B. Scrum, gestalten die Zusammenarbeit von Mitarbeitern, mit dem Ziel hochleistungsfähige Teams zu bilden. Diese Teams müssen mit der Freiheit und der Verantwortung ausgestattet sein, alle notwendigen Entscheidungen selbst zu treffen, insbesondere wie das Team intern und funktionsübergreifend seine Arbeit gestaltet. Viele dieser Entscheidungen würden im starr hierarchischen Aufbau immer wieder die Führungskräfte liefern. Jetzt übernehmen die Mitarbeiter sie selbst. Sie reflektieren z.B. stetig, wie sie effizienter arbeiten können. Sie teilen untereinander alle benötigten Informationen, Bedenken und Ideen. Nicht der Beitrag eines einzelnen Mitarbeiters steht im Fokus, sondern das Ergebnis des Teams. Wer welchen Anteil hat, ist für jeden, der nicht im Team beteiligt war, kaum zu erkennen. Anderenfalls würde aus der risikolos gestaltenden Beteiligung zum Wohl des Teams wieder ein stetes Abwägen, welche Konsequenzen es für den einzelnen Mitarbeiter nach außen haben könnte, sich mit seinen Gedanken einzubringen.

Selbstorganisation ist die Grundlage jeder agilen Arbeitsmethode. Gibt eine Führungskraft vermeintlich hierzu Freiraum, um das erzielte Ergebnis auf die eigene Vorstellungen einzukürzen, ist jede Agilität und Lust sich zu beteiligen zerstört.

Für eine „agile Mitbestimmung“ ist neben einer belastbaren Vertrauens- und Lernkultur ein offener Austausch ohne Silo-Denken notwendig. Meine erste Aufgabe ist daher immer, zu analysieren, wo ein Unternehmen in diesen Rahmenbedingungen steht. Das ist wichtiger als sich zuerst mit Online-Beteiligungsplattformen wie Slack oder Yammer oder Systemen wie Holacracy zu beschäftigen, mit denen Führungskräfte teilweise versuchen, sich dem Thema der Mitarbeiterbeteiligung zu nähern. Damit Mitarbeiter sich erfolgreich beteiligen können, ist es zuerst entscheidender, dass sie ein Verständnis dafür haben, vor welchen Herausforderungen das Unternehmen steht, welche Aufgaben bestehen, woran die Kollegen arbeiten etc.. Ein offener hierarchiefreier Austausch von Wissen und Argumenten ist für einige Unternehmen allerdings noch keine Selbstverständlichkeit.

Mir ist es wichtig, einen inspirierenden Austausch auf Augenhöhe und solche Dialogformate zu schaffen, die zum Unternehmen passen. Das kann zunächst erst einmal nur eine Betriebsversammlung als World Cafe sein oder der Einsatz von Open Space für Meetings. Als fortgeschrittene Stufe gibt das Betriebsverfassungsgesetz in § 28a den Mitarbeitern die Möglichkeit anstelle des Betriebsrats mit dem Arbeitgeber für sie geltende Regelungen selbst zu verhandeln. In einem Unternehmen habe ich mit den Führungskräften und dem Betriebsrat einen sog. „Mitbestimmungs-Scrum“ entworfen, den ich in meinem Vortrag vorstelle. Er gestaltet die Umsetzung der gesetzlichen Mitbestimmung so agil wie möglich und bezieht die Mitarbeiter ein, um wesentlich die Entscheidungen beeinflussen zu können.

Damit Mitarbeiter erfolgreich beteiligt werden, muss das Unternehmen seine Kommunikationskultur prüfen. Der Begriff des „Miteinanders“ muss eine erfolgsrelevante Bedeutung im Unternehmen bekommen.

Ich gehe davon aus, dass jeder Mitarbeiter Lust hat, ein in ihn gesetztes Vertrauen zu nutzen, um das Unternehmen noch erfolgreicher zu machen. Gehen Führungskräfte diesen Gedanken nicht mit, muss das geklärt werden, denn Misstrauen und Kontrollmentalität machen eine ernsthafte Beteiligung nicht möglich.

Mitarbeiter fordern zudem technisch Mögliches ein. Wenn ihr Beitrag uneingeschränkt ohne ihre Präsenz erbracht werden kann, warum sollen sie nicht mobil arbeiten dürfen. Sie erwarten individuelle Lösungen. In vielen Lebensbereichen wird uns angeboten, dass Produkte oder Dienstleistungen unkompliziert auf unsere Bedürfnisse konfiguriert werden. Diese Erwartungen bringen Mitarbeiter genauso in Unternehmen. Die Sinnhaftigkeit von starren Vorgaben wird genauso hinterfragt wie die Berechtigung des Betriebsrats allgemeingültig die Interessen der Mitarbeiter zu regeln.

 

4. Welche Tipps und Best Practices können Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen für den konstruktiven Umgang mit dem Betriebsrat geben?

Ich habe in den letzten Jahren etliche Verhandlungen zwischen Führungskräften und Betriebsräten moderiert, die ohne Hilfe von außen sich nicht konstruktiv einigen konnten. Obwohl die Unternehmen sehr unterschiedlich waren, traf ich auffallend häufig auf dieselben Gründe: Unsicherheit, kein klares Konzept und fehlendes Vertrauen.

Fühlen Führungskräfte oder Betriebsräte sich in einem Thema unsicher und überfordert, für das Unternehmen oder die von ihnen vertretenden Arbeitnehmer gute Lösungen zu verhandeln, wird aus reiner Schutzhaltung zunächst blockiert. Mein erster Tipp ist daher, sich und den Betriebsrat umfangreich und transparent über anstehende Themen zu informieren. Soll z.B. über die Einführung agiler Arbeitsmethoden verhandelt werden, müssen Betriebsräte und Führungskräfte diese kennen und verstehen.

Häufig stelle ich zudem fest, dass auf Arbeitgeber- oder Betriebsratsseite ein klares Konzept fehlt, welche Ziele mit den zu besprechenden Maßnahmen erreicht werden sollen. Man verhakt sich dann schnell in der kleinteiligen operativen Umsetzung und hat in der eigenen Vorbereitung und dem gemeinsamen Austausch kaum Zeit dafür verwendet, die Hintergründe und Visionen zu erklären und Optionen zu erarbeiten, die die Interessen beider Seiten berücksichtigen können.

Konstruktiver Umgang setzt stabiles Vertrauen voraus. Fehlt das, muss der Fokus darauf liegen, es dauerhaft aufzubauen. Dass es fehlt, erkennen sie als Außenstehende schnell daran, dass für jede Eventualität eine Absicherung verhandelt wird. Betriebsvereinbarungen sind dann selbst bei übersichtlichen Themen manchmal seitenlang.

Agile Mitbestimmung funktioniert ohne Vertrauen nicht. Mein wichtigster Tipp ist daher, das Miteinander vorbehaltslos mit dem Betriebsrat zu analysieren und gemeinsam gezielt Vertrauen aufzubauen bzw. zu stärken. Steht das Betriebsverfassungsgesetz im Vordergrund, weil Vertrauen fehlt, ist agile Mitbestimmung nicht möglich.

Ein konstruktiver Umgang mit dem Betriebsrat bedeutet übrigens nicht, dass keine Konflikte entstehen. Sie sind ganz im Gegenteil wegen der unterschiedlichen Interessen ganz normal. Konstruktiv arbeiten beide Seiten erst dann miteinander, wenn sie diese alltäglichen Konflikte vernünftig und wohlwollend lösen und sie nicht als vermeintliche Zeichen einer Konfrontation unangemessen emotional aufladen. Jederzeitiger Respekt, die Bereitschaft zum Perspektivwechsel und eine ehrliche Kommunikation dürfen zu keiner Zeit in Frage gestellt werden.