Neues Lernen: Personalentwicklung auf den Kopf stellen

29.10.2019 | Katrin Thieme-Wagner

Neues Lernen: Personalentwicklung auf den Kopf stellen
Quelle: Pexels.com

Wie sich Unternehmen zukunftsfähig lernen

Neues Lernen ist derzeit ein regelrechter Hype. Oft ist jedoch nicht ganz klar, was darunter verstanden wird – wird es doch häufig mit digitalem Lernen gleichgesetzt. Das ist jedoch viel zu kurz gedacht! Was Neues Lernen von bisheriger Weiterbildung unterscheidet, ist der Fokus auf das informelle Lernen und damit auf die Selbstbestimmtheit der Mitarbeiter, die Relevanz des Erlernten und das Lernen voneinander.

Wer kennt das nicht? Wir sind auf einem Seminar und begeistern uns für den neuen Input, den wir erhalten. Doch zurück im Alltag stellen wir fest: Wir sind mit dem Thema lediglich warm geworden – von souveräner Anwendung kann keine Rede sein. Der Grund: Reine Wissensvermittlung reicht nicht aus. Kompetenz bauen wir erst mit dem Tun auf. Hier entscheidet sich, ob wir neues Wissen wieder vergessen oder im Arbeitsalltag verankern.

Hidden Champion: Informelles Lernen

Wie das 70:20:10-Modell des beruflichen Lernens von Michael Lombardo und Robert Eichinger besagt, erwerben wir den größten Anteil dessen, was wir im Beruf lernen, auf informellem Weg am Arbeitsplatz: zu 70 Prozent durch „Learning on the job“, in Projekten oder bei neuen Aufgaben; zu 20 Prozent durch soziales Lernen – im Austausch mit Vorgesetzten, Kollegen, Coaches oder Mentoren. Nur 10 Prozent stammen aus klassischen Formaten wie Seminaren, e-Learnings etc.

"Das Dilemma der aktuellen Weiterbildungspraxis: Unternehmen investieren noch immer nahezu ihr gesamtes Weiterbildungsbudget in klassische Formate und konzentrieren sich damit auf gerade einmal 10 Prozent des Lernoutcomes."

Ein höchst riskantes Spiel in einer Zeit, in der eine Innovation und Umstrukturierung die nächste jagt und die Halbwertszeit von Wissen rapide sinkt!

Utopie für Neues Lernen: Invest für Weiterbildung auf den Kopf stellen

Betriebliche Weiterbildung muss völlig neu gedacht werden, doch viele Unternehmen können sich noch nicht vorstellen, wie das aussehen könnte. Lassen Sie uns die 70:20:10-Pyramide auf den Kopf stellen und den Invest in Weiterbildung auf die 90 Prozent des informellen Lernens lenken. Damit werden Lernreisen ermöglicht, in denen sich formelle und informelle Lerninterventionen ergänzen. In diesem Zuge verlieren herkömmliche Steuerungsmechanismen und vorgeschriebene Curricula oft ihre Relevanz, ebenso Kennzahlen der Personalentwicklung wie die Stundenzahl in Schulungen und Seminaren, die rein input-orientiert sind, aber nichts über den Impact sagen, den Lernen haben sollte. Zukunftsfähiges Lernen stellt den nachhaltigen Nutzen für Unternehmen und Berufsalltag in den Mittelpunkt.

Stellschrauben für Neues Lernen

An folgenden relevanten Stellschrauben müssen Unternehmen drehen, um das Neue Lernen zu implementieren:

• Strategische Personalentwicklung
In der Personalentwicklung bedarf es künftig zum einen eines glasklaren Verständnisses der Business-Anforderungen, das heute oftmals noch fehlt, und zum anderen eine klare Unterscheidung zwischen kurz- und mittelfristigen Kompetenz-Anforderungen: Was müssen die Mitarbeiter hier und jetzt können und wie können sie dabei unterstützt werden? Welche erfolgskritischen Kompetenzen brauchen wir als Organisation in Zukunft? Werden diese am enger werdenden Arbeitsmarkt zu rekrutieren sein? Müssen diese über längerfristige Weiterbildung entwickelt werden? Oder wie muss man beides miteinander zielgerichtet kombinieren?

• Individuelle Entwicklungsziele
Es geht jedoch nicht nur um businessrelevante Ziele. Auch die individuellen Entwicklungsziele der Mitarbeiter zählen. Nur wer das Gefühl hat, im Job auch für die eigenen Ziele zu arbeiten, ist motiviert. Es ist also von enormer Bedeutung, den Mitarbeitern ihren konkreten Beitrag zum Teamerfolg näherzubringen und mit ihnen gemeinsam ihre Entwicklungsperspektiven herauszuarbeiten und zu realisieren.

• Der Lerner im Mittelpunkt
Die Personalentwicklung muss informelle Lernprozesse aktiv fördern und so Learning on the job und soziales Lernen eine neue Relevanz geben. Das heißt für HR: weniger Steuerung. Für die Mitarbeiter: mehr Selbstbestimmung, aber auch mehr Verantwortung. Hier hilft die Vorstellung einer „Learner’s Journey“. Sie bildet die individuelle Lernreise jedes Einzelnen ab, mit allen formalen sowie informellen Bestandteilen.

• Lernraum für mehr Eigensteuerung
Um die Entwicklungsreise selbstbestimmt gestalten zu können, werden Lernräume benötigt, die unterschiedlichste Optionen und Möglichkeiten zur Verfügung stellen – sowohl was die Inhalte und Formate als auch die Interaktionsmöglichkeiten anbelangt. Das Angebot kann von E-Learning-Nuggets über Feedback im Team, Mentoren und Coaches bis hin zu Barcamps reichen. Auch formale Angebote finden hier ihren Platz. In vielen Unternehmen sind die Tools schon vorhanden. Hier gilt es, diese zu strukturieren und vor allem transparent und für alle zugänglich zu machen. Der Lernende hat dann die Möglichkeit, diese selbstgesteuert abzurufen und im besten Fall mitzugestalten.

• Lernkultur und Mindset
Durch die neue Eigenverantwortung entsteht im Unternehmen eine neue Lernkultur. Dabei verändert sich auch das Rollenverständnis aller Beteiligten: Personaler werden zu Enablern, die als Travel-Agents den Rahmen gestalten. Die Aufgabe der Führungskräfte: die Mitarbeiter unterstützen, sich zu reflektieren, im Tagesgeschäft weiterzuentwickeln, sich Lernziele zu setzen und diese auch zu erreichen. Die Mitarbeiter übernehmen Verantwortung für ihre eigene Entwicklung und erhalten dafür mehr Freiraum.

"Dieser grundlegende Wandel im Mindset aller Beteiligten ist der Dreh- und Angelpunkt, um bisheriges Lernen auf den Kopf zu stellen und um die Utopie des Invests in informelles Lernen Wirklichkeit werden zu lassen."

Im Einklang: Organisation – Menschen – Umfeld

Mit diesen Stellschrauben für Neues Lernen gehen Unternehmen einen völlig neuen Weg. Es ist ein Ansatz, der alle Dimensionen des Unternehmens einbezieht:

• Die Organisation, die sich durch die neue Lernkultur und businessrelevanten Lern-Impact zukunftsfähig aufstellt.
• Die Mitarbeiter, die durch mehr Eigenverantwortung und selbstbestimmtes Lernen ihren Beitrag zum Unternehmenserfolg bewusst leisten und ihre eigene Entwicklung vorantreiben. Das motiviert.
• Technologische Verankerung des Neuen Lernens mit Hilfe von digitalen Lernplattformen ermöglichen eine innovative User-Experience, das unternehmensweite Heben von vorhandenem Potenzial und das Etablieren eines konstruktiven Lernumfeldes. Digitale Lösungen können die Möglichkeiten des sozialen Lernens ideal unterstützen und die nahtlose Verzahnung von formalen und informellen Methoden zu einer individuellen Learning Journey für alle Mitarbeiter schaffen.

Über die Autorin

Foto von Katrin Thieme-Wagner

Katrin Thieme-Wagner ist Bereichsleiterin Management Consulting bei der Haufe Akademie. Sie unterstützt – gemeinsam mit ihrem Team – Unternehmen darin, ständig wandelnde Anforderungen zu meistern und ihre Zukunft erfolgreich in die eigene Hand zu nehmen.